Brecht für Betriebswirte

Tom Kühnels und Jürgen Kuttners bitterböses Projekt „Jasagen und Neinsagen“ im Thalia in der Gaußstraße persifliert Führungskräfteseminare. Höchst unterhaltsame Collage aus ständigen Rollenwechseln

Ständig schlüpfen wir in neue Rollen. Nicht immer freiwillig. Eben noch befand sich der bebrillte Mittvierziger in der gemütlich-passiven Rolle des Theaterbesuchers und beäugte aus sicherer Entfernung die Bäumchen-wechsle-dich-Spiele auf der Bühne, da sieht er sein Konterfei plötzlich in Großaufnahme auf der Leinwand. Und wird gefragt, ob er nicht mitspielen will. Ein gequältes Lächeln, ein kaum sichtbares Kopfschütteln. Neinsagen fällt schwer, besonders wenn einem dadurch die Rolle des Spielverderbers zufällt.

„Jasagen und Neinsagen“, ein Projekt von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, das jetzt im Rahmen der Reihe „Glück in Hamburg“ im Thalia in der Gaußstraße aufgeführt wird, ist mehr als eine rasante, manchmal sperrige Collage aus ständigen Rollenwechseln. Neben ironischen Ausflügen in die Theorie des Theaters (Jürgen Kuttner) und in die Bergwelt des Reinhold Messner (grandios: Suse Wächter mit Puppe) katapultieren sich die fünf Schauspieler vor allem in die zielorientierte Welt eines Führungskräfteseminars. Mal geben sie die um Autorität ringende Abteilungsleiterin Irmi (Anna Steffens), dann deren renitente Mitarbeiterin, mal brüllen sie sich als Chef den Frust aus dem Leib (Peter Kurth), mal heulen sie als Vertreter, der die Quote nicht schafft (Claudia Renner).

Damit nicht genug, schlüpfen die Anzug- und KostümträgerInnen auch in die Rollen eines Theaterstücks von Bertolt Brecht. „Der Jasager und der Neinsager“ erzählt nach einem japanischen No-Stück von einem Jungen, dessen Mutter krank ist und der mit seinem Lehrer in die Berge aufbricht, um Medizin zu holen. Doch dann wird der Junge unterwegs selbst krank. Nach altem Brauch werden die Schwachen zurückgelassen und damit dem sicheren Tod preisgegeben. Doch zunächst werden sie gefragt, ob sie einverstanden sind.

Bei Brecht sagt der Junge zunächst ja und bittet, zuvor getötet zu werden. Erst im zweiten Teil des Stücks, bei dem sich bis zur entscheidenden Frage alles wortwörtlich wiederholt, sagt der Junge nein. Er argumentiert, der Brauch sei unvernünftig und plädiert dafür, „in jeder neuen Lage neu nachzudenken“.

Brechts Plädoyer für unkonventionelles Denken, so führt uns „Jasagen und Neinsagen“ überspitzt und höchst unterhaltsam vor, ist längst in Rollenspielen bei betrieblichen Seminaren zur Konvention erstarrt. Mit einem wichtigen Unterschied: Das spielerische Denken dient heute dem Systemerhalt und der Effizienzsteigerung. So ist es nur konsequent, wenn der Theaterabend im Gegensatz zur Brechtschen Vorlage mit dem Jasager endet, der sich ergeben dem Schicksal fügt. Karin Liebe

Thalia in der Gaußstraße, nächste Vorstellungen: 9. & 11. Januar, 20 Uhr (am 11. 1. im Anschluss Podiumsdiskussion)