Radelnder Situationist

Mark Wehrmann ist Teil der BMX-Szene. Auf seinen Fotos, die zurzeit im Projektraum des Deutschen Künstlerbunds ausgestellt sind, dokumentiert er, wie man sich öffentlichen Raum aneignen kann

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Es gibt da eine Hündin. Sie heißt Fiocchi. Ihr Herrchen ist ein italienischer BMX-Crack, und er hat Fiocchi dazu gebracht, auf ihren vier Pfoten die gleichen Tricks zu können wie er auf seinen zwei Rädern. Jetzt springt Fiocchi gegen Wände, schlittert über Gartentische und hüpft über Bäume. Ein BMX-Magazin kürte sie zum ersten „Freeride-Hund“.

Wenn Mark Wehrmann auf solcherart skurrile Geschichtchen stößt, freut er sich diebisch – wieder ein Beleg gefunden für die Hingabe, mit der sich der Radsport zum Lebensinhalt machen lässt. Wehrmann selbst ist seit Jahren Fahrradkurier in Hamburg, fährt nebenbei BMX und Skateboard und macht als Künstler seinen obsessiven Bike-Blick auf die Welt zum Thema seiner Arbeiten. „Ein Bahnrad und eine minimalistische Skulptur haben für mich das gleiche Level an Verdichtung“, sagt der 35-Jährige, der durch „E. T.“ zum BMX-Fahren kam.

In seinen Fotos, Videos und Performances beschäftigt sich Wehrmann mit den hermetischen Codes der Kurier- und BMX-Szene und seiner daraus resultierenden Wahrnehmung von Welt: als einem vor allem befahrbaren Hindernisparcours. Das gibt seinen Arbeiten oft eine radikale politische Dimension: Der öffentliche Raum, für den Wehrmann immer die Möglichkeit einer abweichenden Nutzung einfordert, wird als von Engstirnigkeit, Privatisierung und Kriminalisierung gefährdeter verhandelt. Im Jahr 2000 beispielsweise baute Wehrmann mit der „Halle des Ruhms“ einen BMX- und Skate-Parcours ins Museum Fridericianum in Kassel. Die lokale Szene bedankte sich – und zog Reifen- und Rollenspuren quer durch den White Cube.

2001 robbte Wehrmann ganz in autonomem Schwarz rund um ein Bankgebäude und versuchte dabei, immer im toten Winkel der Überwachungskameras zu bleiben. Sein Diplom an der Hamburger HfbK bekam er für eine Halfpipe, die er in die Kunsthochschule baute. 2002 plante er mit Künstlerkollegen eine Paintball-Schlacht in einem alten Kaispeicher im Hamburger Hafen; als Gegner wurden die Mitarbeiter jener Agentur herausgefordert, die mit dem Standortmarketing des groß angelegten Gentrifizierungsprojekts HafenCity beauftragt ist.

Seit 2003 fährt Wehrmann mit Fahrrad und Kamera durch die Gegend, stoppt seine Zeiten und dokumentiert mit der Kamera Orte, die von der Szene noch unentdeckt sind: Brückenunterführungen, Mauern um Gärten von Einfamilienhäusern, lehmige Abhänge und schlammige, neue Treppenanlagen und alte Weltkriegsbunkerreste, in Köln, Basel, Oldenburg oder am Elbeseitenkanal. Für den Uneingeweihten gänzlich unspektakulär, sind die Örtlichkeiten für den besessenen Trick-Radfahrer Geschenke: Rampen, Wände und Jumps, Wallride- und Trialspots. 15 dieser teilweise ins Dreidimensionale gefalteten Fotos hängen jetzt, neben einem schmalen Künstlerbuch und einer Fanzine-artigen Materialsammlung zum Thema BMX-Kultur und Straight Edge, im Projektraum des Deutschen Künstlerbunds, wo Mark Wehrmann als HAP-Grieshaber-Preisträger 2005 ausstellt.

Wehrmann geht es nicht um formale Aspekte wie Perspektive und Bildausschnitt, sondern um die Dokumentation seines unermüdlichen Umherschweif- und Kartografier-Projektes: Er inszeniert seinen Nerd-Blick als einen vom bürgerlich-disziplinierten Soll abweichenden, der andere soziale Zusammenhänge, andere Nutzungsmöglichkeiten und vor allem auch andere ästhetische Erfahrungen aufschließt.

Sicherlich, an vielen Stellen beißt sich bei Mark Wehrmann die Selbstinszenierung als Guerillero mit seinem Vermittlungswillen. Man merkt: Er bewegt sich, indem er im Kunstkontext mit den Codes der Kurier- und BMX-Szene hantiert, immer auch auf der Schwelle zum Verrat von subkulturellem Herrschaftswissen. Das Kunstfeld goutiert diese Authentizität, doch der Zusammenhang, den sein ebenfalls in der Ausstellung befindliches Künstlerbuch zwischen Slayer-Lyrics, „A Clockwork Orange“, einem lebensreformbewegt radfahrenden Großonkel und tätowierten Fahrradkurieren herstellt, bleibt dennoch enigmatisch. Dafür tätigen aber die mit der Nagelschere fein säuberlich aus den Fotos herausgeschnitzten Skatestopper-Pins ein sehr klares Statement: Wie von der Disziplinargesellschaft eingesetzte Folterwerkzeuge für urbane Extremsportler stechen sie aus den Bildern heraus.

Mark Wehrmann bewegt sich mit seinen Arbeiten in einem großen Dazwischen: Zwischen Jackass, Militanz und manchmal fast lehrerhaftem Vermittlungswillen, zwischen geheimniskrämelnder Underground-Arroganz und der Lust an der künstlerisch-kulturwissenschaftlichen Analyse einer sehr speziellen Szene. In jedem Fall aber zeigt er eine Parallelwelt, der nur allzu oft ihr Existenzrecht von Stadtpolitik und Landschaftsplanung abgesprochen wird, als ein ästhetisches Universum.

Mark Wehrmann, „North Shore“, bis 31. 1., Di.–Fr. 14–18 Uhr, Projektraum Deutscher Künstlerbund, Rosenthaler Str. 11