Koch will Option auf neue AKWs

Atomausstieg sei ökonomischer Unsinn, sagt der Ministerpräsident von Hessen. Aber auch Uran wird knapp. Logische Konsequenz: Wiedereinstieg in die Brütertechnologie?

BERLIN taz ■ Der hessische Ministerpräsident Roland Koch will den Bau neuer Atomkraftwerke (AKWs) nicht ausschließen. „Wir müssen uns diese Frage für das nächste Jahrzehnt offen halten. Das ist eine technische und ökonomische, aber keine ideologische Frage“, sagte der CDU-Politiker in der Leipziger Volkszeitung.

Erst am Samstag hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger gefordert, die Bundesländer sollten selbst darüber entscheiden können, ob und wann sie irgendwelche Reaktoren vom Netz nehmen. Für das Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der Atomausstieg habe Bestand, interessieren sich die Landesfürsten offenbar nicht besonders.

Koch jedenfalls hält das Abschalten laufender Reaktoren für „ökonomischen Unsinn“. Doch es geht ihm um mehr. So lobte er Frankreich als Vorbild, wo das staatliche Energieunternehmen EdF 2012 einen neuartigen 1.600-Megawatt-Reaktor bauen will. Präsident Jacques Chirac hatte in seiner Neujahrsansprache sogar den Bau eines Reaktortyps der vierten Generation bis 2020 angekündigt – ein Jahr bevor in Deutschland laut Ausstiegsbeschluss das letzte AKW vom Netz gehen soll.

Ob neue AKWs eine höhere Versorgungssicherheit gewährleisten, ist jedoch fraglich – nicht nur, weil Atomstrom in Deutschland nicht zum Heizen benutzt wird und damit russisches Gas und arabisches Öl nicht ersetzt. Dazu kommt, dass auch der AKW-Brennstoff Uran importiert werden muss. Und das könnte zum Problem werden.

Uran sei weltweit noch knapper als Öl, Gas oder Kohle, erklärte Umweltminister Siegmar Gabriel (SPD) am Donnerstag in Berlin. Der Kernbrennstoff sei nur noch 20 bis 65 Jahre verfügbar und werde wegen der zunehmenden Knappheit immer teurer. Seit Anfang 2000 hat sich der Weltmarktpreis für Uran in der Tat bereits vervierfacht – auf US-36 Dollar pro Pfund.

In ihrem Red Book von 2003 bezeichnen die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und der Industrieländerclub OECD den Uranmarkt auf mittlere Sicht als „sehr unsicher“. Die derzeit wichtigen sekundären Quellen wie wiederaufgearbeitete Brennstäbe oder militärische Bestände würden an Bedeutung abnehmen. „Die voraussichtlichen Produktionskapazitäten bis 2020 können für sich genommen den prognostizierten Uranbedarf nicht decken.“

Werden keine neuen Uranvorkommen entdeckt und erschlossen, dann gibt es einen zweiten Weg, dem Knappheitsproblem zu entgehen: die umstrittenen Schnellen Brüter, in denen Plutonium aus wiederaufgearbeiteten Kernbrennstäben als Brennstoff eingesetzt und zugleich neues Plutonium erbrütet wird. Sollte Kochs Wunsch nach neuen Atomkraftwerken also Sinn machen, würde das den Wiedereinstieg in den gesamten Brennstoffkreislauf inklusive Wiederaufbereitung und Brüter bedeuten. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil betonte dazu gestern: „Im Deutschen Bundestag gibt es für einen Wiedereinstieg in die Kernkraft keine Mehrheit.“

NICOLA LIEBERT