: Vom Staube befreit
MUSEUM Lokalgeschichte schafft Identität. Aber was heißt das in einer Stadt wie Berlin? Wie lässt sich „Heimat“ vermitteln?
VON UWE RADA
Wo, bitte, geht’s hier zur Heimat? Im Märkischen Museum führt der Weg erst mal in eine Art Kathedrale. Wie ein Kirchenschiff hat der Architekt Ludwig Hoffmann seine Behausung für die Berliner Sammlungen 1908 errichtet. Historie als Erbauung. Es fällt schwer, hinter den dicken Mauern anderes zu entdecken. Geschichte lebt hier nicht, sie ist musealisiert.
Was für ein Gegensatz das Neukölln Museum: Licht sind die Räume, aufgeräumt ist die Ausstellung. Neugier, nicht Ehrfurcht ist hier gefragt. Und Ausprobieren. „99 x Neukölln“ heißt die Dauerausstellung. Das sind 99 Entdeckungsreisen durch die Geschichte und Gegenwart eines spannenden Bezirks.
Geschichte ist wieder in. Historische Landschaften werden entdeckt, Weddinger Jugendliche erforschen ihren Kiez. Lokale Identität schafft Sicherheit im globalen Drift. Wie aber soll Vergangenheit ausgestellt werden?
Neue Maßstäbe setzte die Kulturprojekte GmbH zur 775-Jahr-Feier 2012: Berlins Geschichte wurde auf dem Schlossplatz als Geschichte der Einwanderer gezeigt. Slawen, Hugenotten, Türken, Schwaben und Polen haben mitgearbeitet an dem, was Berlin heute ist: eine Stadt der Vielfalt. Dass man nirgendwo so schnell einheimisch werden kann wie hier, hat mit dieser Geschichte zu tun. Jeder durfte sich angesprochen fühlen. Jeder war auf seine Weise involviert. Selbst Preußen, sonst Dreh- und Angelpunkt der borussischen Geschichtsauffassung, die den Bau des Märkischen Museums prägte, erstrahlte auf dem Schlossplatz plötzlich in einem anderen Licht.
Poppige Logos
Die Basisarbeit in Sachen Berlingeschichte leisten die Bezirksmuseen. Dort staubt es längst nicht mehr: In den 80er Jahren hat die Sozialgeschichte Einzug gehalten. Nun ist es die kulturelle Vielfalt. Selbst poppige Logos wie „FHXB“ für das gerade erst umbenannte Friedrichshain-Kreuzberg Museum sind erlaubt.
Aber warum haben all diese Museen die „Heimat“ aus ihrem Namen gestrichen? Das fragt sich zum Beispiel Naika Foroutan. An der Humboldt-Universität forscht sie über hybride Identitätsmodelle von Einwanderern. Heimat ist ein tolles Wort, findet sie. Ihr Forschungsprojekt heißt „Heymat“, mit einem y, weil Heimat halt auch migrantisch ist.
So wie das Märkische Museum eine Berliner Heimat schuf, können die 19 Regionalmuseen heute neue Heimaten schaffen. Wenn sie es wollen.
Museumsspaziergang S. 44 Interview N. Foroutan S. 45