Wie in einer großen Familie

von GESA SCHÖLGENS

Sie wollte ihm eine letzte Chance geben. Wegen der Kinder, die ihren Vater vermissten. Vielleicht, weil sie Angst vor dem Alleinsein hatte. Weil sie gehofft hat, dass alles wieder gut wird. „Aber“, sagt Hatice* leise, „es hat uns nichts gebracht. Er hat sich nicht verändert.“ Jetzt ist sie wieder hier. Wie schon vor zwei Jahren hat Hatice mit ihren beiden Kindern Zuflucht im „Internationalen Frauenhaus“ der Arbeiterwohlfahrt Düsseldorf gesucht. Zuflucht vor den Schlägen, Demütigungen und Drohungen ihres Mannes. Wie die meisten der Bewohnerinnen lebte sie jahrelang wie eine Gefangene. Wenn sie das Haus verlassen durfte, dann nur in Begleitung ihres Mannes. Wollte sie etwas Bestimmtes einkaufen, musste sie um Erlaubnis bitten. Meinte er, sie sei ungehorsam, schlug er sie brutal zusammen.

Irgendwann konnte Hatice es nicht mehr ertragen. Mit ihren beiden Kindern flüchtete sie ins Frauenhaus. Die Adresse bekam sie von der Frauenberatungsstelle. Das Haus liegt in einer ruhigen Nebenstraße. Auf den Klingelschildern stehen falsche Namen, die Tür ist mehrfach verriegelt, Briefe gehen an ein Postfach. „Die Nachbarn wissen zwar, dass es hier ein Frauenhaus gibt“, sagt Leiterin Silvia Röck. Dennoch bleibt die Adresse seit über zwanzig Jahren geheim.

Derzeit leben hier acht Frauen und sechs Kinder. Eine von ihnen ist Leila aus Marokko. Sie kam vor einigen Jahren nach Deutschland und wohnt seit fast einem Jahr im Haus. Gemeinsam mit Silvia Röck hat sie für sich und ihre Kinder eine Aufenthaltserlaubnis erkämpft. „Ich bin sehr froh, dass wir in Deutschland bleiben dürfen“, sagt Leila. Ihre älteste Tochter ist asthmakrank, ihre jüngste erst acht Monate alt. Leila fällt es sehr schwer, zu erzählen, warum sie hier ist. „Es gab Probleme mit meinem Mann“, sagt sie nur stockend und senkt den Blick. Angst, nein, Angst habe sie nicht mehr vor ihm. „Er soll mich einfach nur in Ruhe lassen und akzeptieren, wie ich mein Leben führe“, sagt sie bestimmt. Auch Noras Mann wurde gewalttätig, schlug und bedrohte sie, wenn er betrunken war. Und er trank viel. „Er war immer nur zu Hause und hat ferngesehen, getrunken und geraucht. Er sagte zwar immer: ‚Ich gehe arbeiten‘, aber er hat es nicht getan“, sagt die zierliche Tunesierin. Angst habe sie nur gehabt, wenn ihr Mann betrunken war: „Nüchtern ist er ganz lieb gewesen“, sagt sie und lächelt. Das Lachen ist ihr trotz allem geblieben.

Im Frauenhaus fühlen sich die drei geborgen. „Es ist wie in einer großen Familie. Wir kochen zusammen, unsere Kinder spielen im Spielzimmer mit der Erzieherin und gehen in den Kindergarten, in der Freizeit gehen wir spazieren und einkaufen“, sagt Leila. Viel Platz gibt es nicht: Hatice schläft mit ihren Kindern in einem Zimmer mit Etagenbetten, in dem sie alle Habseligkeiten untergebracht hat. Küche und Bad teilt sie sich mit zwei anderen Frauen. Oft ist es laut, auch Streit kommt vor. „Aber dann sprechen wir darüber“, sagt Nora. Die Bewohnerinnen stammen aus Osteuropa, Afrika und dem Nahen Osten. Hauswirtschafterin Serpil Yapiciogli kümmert sich um den Haushaltsplan, die Finanzen und organisiert auch religiöse Feste wie den Ramadan.

„Wir haben nur selten deutsche Frauen hier“, sagt Silvia Röck. Das habe zum einen traditionelle Gründe, da die Einrichtung zuerst eine Beratungsstelle für Gastarbeiter war, zum anderen Migrantinnen aus ganz Deutschland aufgrund des Zusatzes „international“ anrufen. Die Leiterin glaubt nicht, dass es in Migrantenfamilien mehr Gewalt gibt, obgleich alle Frauenhäuser einen Ausländeranteil von etwa 60 Prozent haben. „Bei familiären Problemen suchen die deutschen Frauen eher Zuflucht bei Verwandten oder Freunden.“ Den Migrantinnen fehle so ein soziales Netz. Sie sprechen in der Regel kaum Deutsch und kennen die deutschen Gesetze nicht. „Das nutzen viele der Männer aus, indem sie ihnen mit der Abschiebung drohen“, sagt Röck.

Die Mitarbeiterinnen haben ein offenes Ohr für die Probleme der Bewohnerinnen. Viele Frauen und auch einige Kinder machen eine Therapie. Erzieherin Sandra Niebel achtet beim Spielen darauf, ob die Kleinen sich trotz der erlebten Gewalt normal entwickelt haben. „Sie wollen trotz allem oft zurück zu ihrem Vater, da sie eine eigene Beziehung zu ihm haben“, sagt Niebel. Viele gerieten in einen Konflikt, da sie wüssten, dass ihr Papa etwa Unrechtes getan hat. Versuchen die Männer, das Frauenhaus aufzuspüren? „Einen Einbruch hatten wir noch nicht. Einer hat mal das Haus belagert. Dann rufen wir die Polizei“, sagt Röck. Eine Sozialtherapeutin gebe den Frauen Tipps, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie ihrem Mann auf der Straße begegnen. Auch das Gewaltschutzgesetz von 2002 hilft den Betroffenen. Es sieht in NRW bei häuslicher Gewalt einen Wohnungsverweis für zehn Tage vor. Wenn die Frau zivilrechtlichen Schutz bis zu einer gerichtlichen Eil-Entscheidung über die Wohnungszuweisung beantragt, darf das Rückkehr-Verbot auf 20 Tage ausgeweitet werden. Dadurch gewinnt sie Zeit.

Hatice, Leila und Nora blicken zuversichtlich in die Zukunft. „Jetzt, wo ich hier bin“, sagt Leila, „fühle ich mich wie neugeboren. Wie eine richtige Frau“. Die 28-Jährige kann endlich Pläne schmieden: „Ich möchte in eine Wohnung ziehen und wünsche mir, dass meine Kinder zur Schule gehen und später einen guten Beruf erlernen.“ Auch Nora freut sich sehr auf die eigenen vier Wände. Gerne würde sie eine Ausbildung machen, „am liebsten irgendwas mit Computern“. Der Auszug wird leider immer schwieriger, da das Frauenhaus seine Mitarbeiterin für die so genannte „nachgehende Beratung“ entlassen musste: Bislang half die Fachkraft bei der Wohnungssuche, organisierte Umzüge und betreute die Familie in der Zeit danach. Nun müssen diese Aufgaben unter den übrigen drei Mitarbeiterinnen aufgeteilt werden. Das Problem haben alle Frauenhäuser: Durch die Kürzungen der schwarz-gelben Landesregierung ist seit Jahresbeginn in jeder Einrichtung eine von vier Stellen weggefallen. Dabei hatte Frauenminister Armin Laschet (CDU) noch im Oktober 2005 versprochen, die Landesförderung von Frauenhäusern uneingeschränkt fortzuführen. Für Silvia Röck kam die Kürzung dennoch nicht überraschend: In NRW gebe es den Zuschuss von etwa 30.000 Euro erst seit 1997. „Es handelt sich um eine ‚Kann-Förderung‘, die in jedem Bundesland unterschiedlich ist.“ Andere Länder sind noch schlechter dran: In Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz werden nur zwei Stellen bezuschusst.

Die Folgen für das internationale Frauenhaus sind gleichwohl gravierend: „Das ist ein großes Problem“, sagt Nora, „wir brauchen Hilfe bei so vielen Dingen. Bei der Möbelsuche, beim Streichen, Anmelden von Strom und Besuchen bei den Ämtern.“ Auch beim Telefonieren, „denn viele wollen nicht an Frauen vermieten, die schlecht Deutsch sprechen“, weiß Hatice. Jetzt dauert es einige Monate länger, bis ein Auszug organisiert ist: „Wir müssen lange warten. Und andere Frauen, die unseren Platz dringend brauchen, auch.“ Rund 30 Anfragen pro Monat bekommt die Einrichtung, etwa 20 davon müssen wegen der Vollbelegung abgelehnt werden. Einige Frauen erhalten die Telefonnummern anderer Häuser. Die Bewohnerinnen zögern inzwischen, mit kleineren Sorgen ins Büro zu gehen, da die Mitarbeiterinnen so viel zu tun haben. Alles muss straffer organisiert werden, wahrscheinlich gibt es bald feste Gesprächstermine. „Auch für die Kommunen wird es teurer, denn sie müssen die Unterkunftskosten länger tragen“, sagt Röck. Hatice hofft, dass es trotz allem weitergeht: „Mir wurde geholfen, ich habe neue Hoffnung geschöpft. Aber auch viele andere Frauen brauchen Hilfe.“

*Namen geändert