Kanada: Populisten und Separatisten

Aus den Wahlen in Kanada am 23. Januar dürften die Separatisten aus dem französischsprachigen Quebec gestärkt hervorgehen. Das Mehrheitswahlrecht hilft ihnen, mächtiger zu erscheinen, als sie sind – und schadet den Sozialdemokraten

AUS TORONTO HANNES HEINE

Im zweitgrößten Land der Welt tobt der Wahlkampf. Etwa 22 der 32 Millionen Kanadier sind aufgerufen, am 23. Januar ihre Stimme abzugeben. Ein Teil von ihnen wird für Gilles Duceppe votieren. Duceppe glaubt, dass Kanada in 30 Jahren nicht mehr der zweitgrößte Staat der Erde ist. Bis dahin nämlich will der Chef der Separatistenpartei Bloc Québécois die französischsprachige Provinz Quebec vom englischsprachigen Rest des Landes trennen und mit den über 7 Millionen Einwohnern einen eigenen Staat gründen.

Quebec ist auch der Grund, dass es überhaupt zu vorgezogenen Wahlen kam: Nachdem die Separatisten hier 1995 fast die Hälfte der Bevölkerung für die Trennung von Kanada mobilisieren konnten, stellte Jean Chrétien, Amtsvorgänger und Parteifreund des scheidenden liberalen Premiers Paul Martin, 200 Millionen Dollar zur Stabilisierung der Region bereit. Ein erheblicher Teil des Geldes floss jedoch in die Taschen von Günstlingen der liberalen Partei. Ein langlebiger Spendenskandal entstand, über den die Regierung letzten November endgültig stolperte. Die Sozialdemokraten von der Neuen Demokratischen Partei (NDP) unter Parteichef Jack Layton entzogen den seit 1993 regierenden Liberalen in der Hauptstadt Ottawa die nötige Duldung.

Laut Prognosen wollen nun 50 Prozent der Wähler in Quebec für die französischen Nationalisten stimmen. Dabei entscheidet Quebec über Bildung, Einwanderung und Zivilrecht längst weitestgehend autonom. Kritiker sprechen von einem „asymmetrischen Föderalismus“, der Quebec den anderen Provinzen gegenüber bevorzuge. Besonders im ländlichen Westen des Riesenlandes gedeihen populistische Ressentiments, die von den Konservativen aufgegriffen werden. Und das offenbar mit Erfolg.

Der konservative Spitzenkandidat Stephen Harper fordert deutliche Steuersenkungen und führt derzeit überraschend die Umfragen an. Gegen eine von ihm geforderte Privatisierung der Krankenversicherung präsentieren sich nun NDP und Liberale gleichermaßen als Hüter des angeschlagenen Sozialstaats. Das ist zumindest fragwürdig, denn unter Noch-Premier Martin rückten die Liberalen weiter nach rechts. Da in Kanada das Mehrheitswahlverfahren gilt, konnten sie sich bisher in vielen Wahlkreisen nur deshalb behaupten, weil Wähler aus Angst vor den Konservativen ihre Stimme nicht an die kleinere NDP verschenken wollten.

Das muss Sozialdemokrat Jack Layton auch diesmal befürchten. Aus Angst vor Stephen Harper warb selbst das NDP-Mitglied und Chef der mächtigen Autobauergewerkschaft Buzz Hargrove um Stimmen für die Liberalen, sollten die Wahlkreise andernfalls von konservativen Kandidaten gewonnen werden.

Gerade für die Sozialdemokraten, die in Kanada eher die Rolle einer Linkspartei einnehmen, ist das Mehrheitswahlverfahren ein Problem. Da nur ein Kandidat je Wahlkreis ins Unterhaus entsandt wird, müssen Parteien ihre Wähler in Hochburgen konzentrieren. Der Bloc Québécois, der nur in Quebec antritt, hat insgesamt zwar deutlich weniger Wähler als die im ganzen Land verteilt gewählte NDP, aber dreimal so viel Abgeordnete. Die Sozialdemokraten hätten nach der Einführung des Verhältniswahlrechts doppelt so viele Parlamentarier.

Unterdessen tobt der nationale Wahlkampf um allerlei Themen der Sicherheit vor Kriminalität: Paul Martin etwa versprach, im Falle seiner Wiederwahl den Besitz von Handfeuerwaffen zu verbieten. Allein 2005 starben in Kanadas Metropole Toronto fast 60 Menschen nach Schießereien, zuletzt eine unbeteiligte Schülerin beim Weihnachtseinkauf. Stephen Harper fordert nun fünf Jahre Mindeststrafe für alle Taten, bei denen Waffen im Spiel waren.

Für Gilles Duceppe sind all das vermutlich die Probleme der englischsprachigen Kanadier. „Wir in Quebec sind anders“, sagte der Frankophone bei einer Fernsehdebatte in akzentfreiem Englisch.