Heuschrecken zu Grashüpfern

KRISE Die Finanzindustrie will nicht weiter als Sündenbock für die Finanzkrise herhalten. Ein Ortstermin in St. Gallen gibt Aufschluss: Andere sollen an den Pranger. Schlechte Politiker, blöde Kunden

ST. GALLEN taz | „Danke für die Einladung, so was bekommen wir derzeit nicht allzu häufig“, sagt Douglas Flint. Der Aufsichtsratschef der britischen Großbank HSBC landet einen Lacher auf diesem Podium in St. Gallen. Aber sein Dilemma beschreibt er ganz anschaulich: Die Krise hat Geldscheffeln uncool gemacht. Der Finanzbranche haftet derzeit für viele Kreise so etwas wie der Geruch von Hasenkötteln an. Bei diesem Gespräch wird mehr als deutlich: Die Finanzer wollen nicht länger als gewissenlose Zocker dastehen.

Noch andere sitzen mit Flint auf dem Podium des internationalen Symposiums in St. Gallen, das am Freitagabend zu Ende ging. Etwa der deutsche Wirtschaftskolumnist Wolfgang Münchau. Sein Befund: Das Image von Bankern und Brokern sei „noch bescheidener als das von Journalisten“. Nun rätseln sie, was gegen das grottige Ansehen zu tun ist. 200 Studenten, 600 „Entscheider“ rätseln mit ihnen während dieses Symposiums. Motto: „Wer wagt, gewinnt.“ Klar ist: Sie wollen gerne weiter wagen.

„Kristallklar“, gibt Sergio Ermotti, Chef der Schweizer Großbank UBS, zu, sei, dass die Kreditinstitute Fehler begangen hätten – aber: „Jetzt muss Schluss sein mit dem Banken-Bashing!“

Ermotti empört sich über „populistische und simplifizierende Vorwürfe“. Die Branche rangiere in Beliebtheitsrankings ja auf dem Niveau von Pharma- oder Tabakindustrie. Kolumnist Münchau macht eine Kampagne bei der SPD in Deutschland aus: „Die fahren auf einem Anti-Banking-Ticket, wie ich das noch nie gesehen habe.“

Der ruinierte Ruf ist schlimm. Fast als albtraumartig empfinden viele Banker jedoch die Folgen der Krise: immer neue Einschränkungen durch Behörden und Gesetze. Basel III, Trennbankensystem, Bankenunion – vor allem der Flickenteppich der vielen neuen nationalen Regulierungen nervt sie. So beschwören manche schon das Gespenst der Deglobalisierung. Sie reden vom Ende des internationalen Austauschs, dem Ende des neuen Wohlstands. „Früher versuchten Regierungen, Wachstum zu erzeugen“, sagt Urs Rohner, Aufsichtsratschef des Schweizer Finanzdienstleisters Credit Suisse. „Derzeit wird alles viel komplexer, teurer, aber auch risikoreicher.“ Rohner fordert „globale Regeln für alle, auch wenn es hunderttausende Seiten sind“.

Ermotti sagt, die Regulierer würden inzwischen an der falschen Stelle ansetzen: „Es ist unverantwortlich, weiter von einer Finanzkrise zu sprechen.“ Für den UBS-Vorsitzenden handelt es sich längst um eine Krise der Wirtschaft – und der Gesellschaft. Douglas Flint erklärt schließlich, wer eigentlich am derzeitigen Weltschlamassel schuld ist: der Kunde. „Es war doch klar, dass man ohne Geld kein Haus kaufen kann“, sagt der HSBC-Mann. Und: Es stehe derzeit viel auf dem Spiel. Schließlich hätten die Segnungen der Globalisierung hunderten Millionen Menschen weltweit zu Wohlstand verholfen.

KAI SCHÖNEBERG