MICHAEL BRAUN ZUM TOD VON GIULIO ANDREOTTI
: Abtritt des „Göttlichen“

So wurde Andreotti in den letzten Jahren zu einem italienischen Helmut Schmidt

Wie kein Zweiter verkörperte Giulio Andreotti, der am Montag 94-jährig starb, eine ganze Epoche der italienischen Nachkriegsgeschichte: die Epoche der Democrazia Cristiana (DC), die das Land von 1945 bis 1992 ununterbrochen regierte. Der „göttliche Giulio“ darf für sich beanspruchen, in fast jeder Hinsicht das genaue Gegenbild eines Silvio Berlusconi gewesen zu sein: ein Mann der feinen Ironie, des sarkastischen Bonmots, der auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere immer zurückgezogen lebte, dessen Währung nicht das Geld, nicht Reichtum und Luxus, sondern allein die Macht war; ein Mann, der feine Intrigen zu spinnen wusste und den Gesprächsfaden zu politischen Gegnern bis hin zu den Kommunisten nie abreißen ließ.

So wurde Andreotti in den letzten Jahren zum von rechts bis links verehrten Helden, zu einem italienischen Helmut Schmidt – den meisten geriet darüber aus dem Blick, wie viel dieser Mann doch mit Berlusconi gemein hatte. Über Jahrzehnte hinweg versuchten Staatsanwälte, ihn anzuklagen, mit Vorwürfen, die von Korruption über engste Mafiaverbindungen bis zu Mordaufträgen reichten. Über Jahrzehnte hinweg scheiterte die Justiz – und Andreotti trug zur Aufklärung der gegen ihn gerichteten Vorwürfe nur allzu wenig bei.

Auf Sizilien, einer seiner Hochburgen, und im Rest des Landes fand Andreotti – auch hierin ein direkter Vorgänger Berlusconis – nie etwas dabei, sich innerhalb der DC mit den umstrittensten Gestalten zu umgeben, wenn es nur seiner Machtsicherung diente. Und ganz wie Berlusconi ging Andreotti immer zumindest in der rechten Hälfte der öffentlichen Meinung Italiens völlig unbeschadet aus allen Skandalen hervor. Gewiss, Andreotti hatte Manieren – in der Sache aber ist und bleibt er der direkte Wegbereiter eines Silvio Berlusconi.

Gesellschaft + Kultur SEITE 13