mitschriften aus der letzten reihe (sechs)
: Goodwill zum Mozartjahr, böse endend in chinesischen Säuren und Basen

Raum 551 der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ hat den typischen Charme eines Klassenzimmers: grüner Linoleumboden, grüne Tafel, ein Pult, ein Projektor, und irgendwo hinten in der Ecke ist die Wand aufgebrochen und offenbart ihr Innenleben. Hier sind Hochschullehrer und ihre Assistenten unter sich, man grüßt sich mit Vornamen, erkundigt sich nach den Feiertagen und blättert in der „Zauberflöten“-Partitur, die man sich zuvor in der Bibliothek ausgeliehen hat. Eine Musikstudentin kommt mit ihrem Cello auf dem Rücken. Gleich hinter dem Kasten mit Mineralwasserflaschen steht das Klavier. Professor Gerd Rienäcker, mit riesiger brauner Hornbrille und weißem Bart, springt ein paar Mal hin, um ein paar Takte anzuschlagen und Sätze zu sagen wie „Das Subjekt ist aus zwei Zweier-Takten zusammengesetzt.“

Rienäcker ist nur Ersatz an diesem Abend. Eigentlich versprach der Vortragsabend den Genuss einer Mozartkugel: Über „Die reinste, bitterlichste, süßeste Musik“ sollte es gehen, doch der Vortrag von Professor Wolfgang Rathert fällt aus. Jetzt ist mit einiger Verspätung Rienäcker von der Humboldt-Uni herbeigeeilt, man hat versprochen bekommen, dass es „sicher nicht langweilig“ werde mit den „Schwierigkeiten mit Mozart – Gedanken zur Zauberflöte“. Doch der Titel des Lückenbüßer-Vortrags ist Programm – die Schwierigkeiten mit Mozart habe ich.

Nach ein paar freundlichen Begrüßungsworten durch einen Kollegen – „Ich kenne Rienäcker schon seit dem ersten Ernte-Einsatz 1959“ – geht es los: Der Dozent betont, dass die Ouvertüre der „Zauberflöte“ das populärste in Mozarts Werk sei. Ob die Ouvertüre aber auch wirklich einfach und leicht zugänglich komponiert sei – da sei bitte Skepsis angebracht. Die folgenden eineinhalb Stunden voll mit musikwissenschaftlich schwer zugänglichem Vortrag versuchen partout, das Gegenteil zu beweisen.

Schnell ist mir klar: Dieser Vortrag ist nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Interessierte, die hofften, die 1791 uraufgeführte Oper Mozarts besser verstehen zu können oder zumindest näher gebracht zu bekommen, sind hier falsch. Da kann die „Zauberflöten“-Ouvertüre so populär sein, wie sie will – weder Vortrag noch Hinterraum der Hanns-Eisler-Schule spiegelt etwas davon wider. Mit Perücken, Puder und gerüschten Hemdaufschlägen hat das hier nichts zu tun.

Rienäcker legt ein paar Folien mit Noten auf den Overhead-Projektor. Da ich nicht einmal Noten lesen kann, ist das für mich so hilfreich, als wenn ein Chinese über Säuren und Basen sprechen würde. Mittels einer CD demonstriert Rienäcker dann so manches Crescendo, Decrescendo und Fugato. Während dieser Einspielungen hören die Herren in der ersten Reihe sämtlichst mit nach unten versunkenen Blick und einem auf der rechten Hand aufgestützten Kopf zu. In den hinteren Reihen schließen dagegen so manche auch schon mal die Augen.

„Mozart, die hinterhältige Sau“, habe einmal jemand über den Komponisten geschrieben, erzählt Rienäcker, als er die Folien wieder vom Projektor herunternimmt. Genau, denke ich mir nach den Ausführungen über die Zwischendominante, dreifaltige Akkorde und die Tatsache, dass As nicht der Grundton eines Dreiklangs ist.

„Je weniger Fugato, desto mehr Engführung gibt es“, sagt Rienäcker dann – und erreicht mich längst nicht mehr, da ich in Gedanken schon in einem Salzburger Kaffeehaus sitze und mir bei fettem Kakao eine Mozartkugel nach der nächsten in den Mund schiebe. KATHRIN KLETTE

Eine Bildungskolumne – in Zeiten von Wissensgesellschaft und strategischer Selbstbewirtschaftung ein Muss. Immer mittwochs im Zweiwochenrhythmus – bis zum Semesterende