Aufstand der Regionen Europas

Noch gibt es kaum Gentechnik-Anbau in Europa. Doch das könnte sich bald ändern. Ein wachsendes Bündnis von inzwischen 160 europäischen Regionen formiert sich, um für Verbraucherschutz und regionale Selbstbestimmung zu streiten

Ein Gespenst namens Gentechnik geht um in Europa. Wer sie mag nennt sie „grüne“, wer sie nicht mag „Agro“-Gentechnik. In Medien und politischen Debatten ist sie hoch präsent, in der europäischen Wirklichkeit dagegen kaum. In Spanien gibt es ein paar Felder mit insektengiftigem „Bt“-Mais, in Rumänien wachsen pestizidresistente „Roundup Ready“ Sojabohnen – ansonsten ist Europa praktisch frei von Gentechnik.

In Deutschland soll dies nach dem Willen der neuen Regierung anders werden. Die große Koalition vereinbarte eine aktive Förderung des Gentechnik-Anbaus. „Das muß auch in Deutschland möglich sein“, erklärte Agrarminister Horst Seehofer in seinem ersten großen Interview und setzt sich damit von der Haltung der Mehrheit auch konservativer Regierungen in Europa ab.

Vor Ort formiert sich Widerstand gegen die neue Linie „Bio raus – Gentechnik rein“. Europaweit haben mittlerweile 160 Regionen (Bundesländer, Departements, Woiwodschaften, Counties, Provinzen), tausende von Gemeinden und Kreisen und zig-tausende von Bauern ihr Land zur gentechnikfreien Zone erklärt, ganz zu schweigen von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, in deren Einkaufstüten keine Gentechnik kommt.

Diese vorsorgliche Ablehnung hat viele Gründe: Risiken für Umwelt und Gesundheit natürlich, die Abhängigkeit von ein paar großen Agrarmultis, das Unbehagen an der industriellen Zurichtung der Natur, an Patenten auf Lebewesen; aber auch die Sorge um den guten Ruf der regionalen Produkte, über zusätzliche Kosten, die nicht die Gentechnikhersteller und -anwender bezahlen, sondern die tragen sollen, die weiter ohne Gentechnik produzieren wollen. Und damit schließlich die Bedrohung der kleinteiligen Landwirtschaft, der Bio-Bauern und der mittelständischen Lebensmittelhersteller.

Warum eigentlich will keine Versicherung die Risiken der Gentechnik versichern, wenn alles so harmlos ist, wie die Industrie behauptet? Die Bewegung gentechnikfreier Regionen wird getragen von Politikern konservativer wie grüner Parteien, von Liberalen wie Sozialdemokraten. Landwirte und Naturschützer sind sich hier einiger als in vielen anderen Fragen. Große und kleine Firmen, Gewerkschaften, Kirchen, Verbraucher- und Heimatvereine – sie alle ziehen an einem Strang. Längst geht es dabei nicht mehr allein um den Schutz vor dem Gespenst der Gentechnik. Es entstehen transregionale Kooperationen und ein neues Selbstbewusstsein, mit dem gemeinsame Interessen gegenüber der Bürokratie in Brüssel, aber auch gegenüber den Nationalregierungen vertreten werden; kurz ein lebendiges, bodenständiges und demokratischeres Europa der Regionen.

Diese Zeitung erscheint anlässlich der 2. Europäischen Konferenz gentechnikfreier Regionen in Berlin. Wir möchten Ihnen Eindrücke von dieser Bewegung vermitteln – und herzlich einladen zum Mitmachen.

BENEDIKT HAERLIN