Her mit dem guten Strom!

ENERGIE Das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ fordert den Rückkauf des Stromnetzes und die Gründung eines Öko-Stadtwerks. Das könnte eine epochale Wende in Berlins Energiepolitik bedeuten. Aber noch fehlen viele Unterschriften

■ Beziehen Sie Strom von einem echten Ökoanbieter, der nur Elektrizität aus erneuerbaren Ressourcen verkauft? Dann überrascht es Sie vielleicht, dass Sie immer noch zu einer winzigen Minderheit gehören: In 80 Prozent der Berliner Haushalte kommt der Strom von Vattenfall (früher: Bewag). Den Rest vom Kuchen teilen sich Billiganbieter wie Stromio oder eprimo mit den Ökos, deren Anteil bei etwa 1 Prozent liegt.

■ Weil die meisten Kleinanbieter keine gesonderten Zahlen für das Land Berlin ausweisen, ist dieses Prozent eine Schätzung, und zwar eine wohlwollende: Im Bundesdurchschnitt kommen die vier Ökostromanbieter zusammen auf einen Marktanteil von gerade mal 0,68 Prozent.

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Für Matthias Hermstein ist Vattenfall der Feind. Deshalb läuft er am ersten Samstag im Mai durch den Treptower Park und sammelt Unterschriften: für die Gründung von Öko-Stadtwerken, die dem schwedischen Stromkonzern Konkurrenz machen sollen. Und für die Kommunalisierung des Berliner Stromnetzes, das auch von Vattenfall betrieben wird. Für das Energie-Volksbegehren. Dabei darf er selbst gar nicht unterschreiben.

Der 27-Jährige ist nämlich kein Berliner. Er lebt in Sachsen, in der Lausitz. Von seinem Grundstück aus ist man in ein paar Minuten an der Spree. Und genauso schnell, in einer anderen Richtung, am Rande eines Braunkohletagebaus. Den betreibt Vattenfall. Und der Energiekonzern will den Kohleabbau massiv ausweiten: insgesamt 300 Millionen Tonnen mehr, Abbau bis zum Jahr 2045, Umsiedlung von 1.500 Menschen.

Hermsteins Grundstück liegt so, dass er und seine Familie bleiben können. Trotzdem sagt er, es müsse endlich Schluss sein: Schluss mit dem übersäuerten Bach ohne Fische vor seiner Tür. Mit der Angst vor der Umsiedlung in den Dörfern. Schluss mit dem Bremsen der Energiewende, Schluss mit der Kohle. Hermstein will, dass Vattenfall seine Macht verliert. „Für uns in der Lausitz ist wichtig, dass Vattenfall das Berliner Stromnetz abgeben muss“, sagt er und steuert den nächsten Spaziergänger an.

84.540 Unterschriften für das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ waren bis Freitagmittag bei den Initiatoren eingegangen. 173.000 müssen es bis zum 10. Juni werden, um einen Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung herbeizuführen.

Offener Ausgang

Ob das gelingt, ist derzeit völlig offen: Das Volksbegehren, das die Offenlegung der geheimen Verträge zur Privatisierung der Wasserbetriebe forderte, lag 2010 zu einem vergleichbarem Zeitpunkt auf ähnlichem Niveau – am Ende hatten dann mehr als 280.000 BerlinerInnen unterzeichnet. Klar ist nur eins: Scheitert das aktuelle Begehren, wäre das eine deutliche Aussage über den Fortgang der Energiewende in der Stadt. Eine ernüchternde.

Denn selbst mit einem erfolgreichen Volksbegehren kann das 54 Organisationen starke Bündnis Berliner Energietisch nichts erzwingen: Weder den Rückkauf des Stromnetzes von Vattenfall, noch dass sich ein kommunales Stadtwerk zum ernsthaften Vattenfall-Konkurrenten entwickelt. An den entsprechenden Stellschrauben sitzen der rot-schwarze Senat und seine Fraktionen im Abgeordnetenhaus.

Die sind den allgemeinen Zielen des Energie-Bündnisses gar nicht mal abgeneigt. Zumindest die SPD hat sich die Netz-Rekommunalisierung als Parole ins Programm geschrieben und dem Koalitionspartner CDU die Möglichkeit einer Gründung von Stadtwerken abgerungen. Aber Druck von unten haben Politiker auch nicht gern. Bei einem Scheitern des Volksbegehrens könnten sie sich entspannt zurücklehnen: Dann hätten diese Fragen eben keine politische Priorität.

Dann würde ein Scheitern des Netzrückkaufs und ein floppendes Stadtwerk wohl auch bei der nächsten Wahl nicht bestraft, und der Energieriese Vattenfall gäbe weiter den Takt der Energiewende vor – als Versorger von 80 Prozent der Berliner Haushalte, der in einer von Greenpeace vorgestellten Top Ten der gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerke Deutschlands mit vier Anlagen vertreten ist. Unter anderem mit dem Brandenburger Kraftwerk Jänschwalde als Spitzenreiter: mutmaßlich verantwortlich für hunderte vorzeitige Todesfälle pro Jahr durch Atemwegserkrankungen, Herzinfarkte oder Lungenkrebs. Die Energieversorgung Berlins wäre weiter in der Hand eines Unternehmens, das beteuert: „Vattenfall wird die Option für Wachstum im Bereich der Kernenergie offen halten.“

Ziel eines „Öko-Stadtwerks“ wäre nicht der Profit, sondern die Drosselung des Energieverbrauchs

Für die Strommixstrategie des Mutterkonzerns ist Vattenfall-Netzchef Helmar Rendez nicht zuständig. Er hat derzeit vor allem eine Aufgabe: das Berliner Netz unter Vattenfalls Kontrolle zu halten. Als der schwedische Staatskonzern 2001 die bereits privatisierte Bewag kaufte, erwarb er damit auch die heute knapp 36.000 Kilometer Stromkabel der Stadt sowie das Recht, die Straßen und Wege darüber zu nutzen. Dieses Wegenutzungsrecht hält Vattenfall bis zum 31. Dezember 2014. Für die Zeit danach musste es das Land neu ausschreiben, so sieht es das Energiewirtschaftsgesetz vor. „Ich bin sicher, dass wir das beste Angebot abgeben werden“, sagt Rendez. Vattenfall betreibe das Netz zuverlässig, investiere in die Infrastruktur – und auch in die Dezentralisierung der Erzeugung.

Die ist eine der zentralen Herausforderungen für die Energiewende: aus einem Netz von Autobahnen zwischen Großkraftwerken und Verbrauchern soll ein intelligentes Geäst aus Einspeisern, Verbrauchern und Speichern werden. Oder, in den Worten von Stephan Kohler, dem Chef der Deutschen Energie-Agentur: „Nur wenn wir die Netzinfrastruktur entsprechend erweitern, können wir den Strom aus den dezentralen regenerativen Erzeugungsanlagen tatsächlich verteilen und verbrauchen.“

Unter Aufsicht der Bürger

Eben dafür sei Vattenfall ein denkbar schlechter Partner, sagt der Sprecher des Berliner Energietischs, Stefan Taschner: „Warum sollte ein Unternehmen, das seine Profite mit Großkraftwerken und zentralisierten Netzen verdient, das nötige Interesse an der Dezentralisierung dieser Netze haben?“ Der Energietisch will deshalb nicht nur das Berliner Netz unter öffentliche Kontrolle bringen, er will auch im Aufsichtsgremium des kommunalen Netzbetreibers BürgerInnen platzieren. So sieht es der Gesetzentwurf des Volksbegehrens vor. „Die direktdemokratische Kontrolle durch die Bürger sichert das Gelingen der Energiewende“, sagt Taschner.

Was letztlich das beste Angebot für den Netzbetrieb sein wird, entscheidet maßgeblich Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD). Er leitet das „transparente und diskriminierungsfreie Wettbewerbsverfahren“, das das Energiewirtschaftsgesetz Kommunen spätestens alle 20 Jahre für die Vergabe der Wegerechte auferlegt. Nicht nur Vattenfall bewirbt sich, sondern – unter anderem – auch der holländische Kommunalkonzern Alliander und die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin.

Kleiner Spielraum

Nußbaum hat eine Präsentation zum Verfahren ins Internet gestellt, deren Hauptbotschaft am Anfang steht: „Eine 100-prozentige Rekommunalisierung der Netze kann vom Land Berlin nicht erzwungen werden.“ Das beste Angebot muss gewinnen. Spielraum gibt es nur bei der Gewichtung der Kriterien, nach denen der Senat das Wegerecht vergibt. Andernorts haben Politiker die Öffentlichkeit beteiligt, bevor sie diesen Spielraum nutzten (s. Interview). Der Senat entscheidet frühestens im Oktober über die Kriterien. Ein erfolgreiches Volksbegehren würde den Druck erhöhen, die Bürger ein Wörtchen mitreden zu lassen.

Noch entscheidender ist aber der Druck, den das Zustandekommen eines Volksentscheids für Umweltsenator Michael Müller (SPD) bedeuten würde. Müller ist für den Aufbau des kommunalen Bewerbers um das Stromnetz zuständig. Der hat bislang gerade mal einen Namen: Berlin Energie (BE). Selbst wenn die Vergabekriterien günstig für ein öffentliches Unternehmen sein sollten – ohne ein sattes Budget und fachkundiges Personal hat BE keine Chance. Ob der Senator die nötige Ausstattung durchsetzen kann, wird mit vom Ausgang des Volksbegehrens abhängen.

■ Berlins eigene Energieproduktion ist sauberer als der Bundesdurchschnitt. Oder schmutziger, je nachdem: Kein AKW trübt die Bilanz, der Anteil von klimafreundlichem Erdgas ist höher. Höher ist aber auch der Kohleanteil, und die Erneuerbaren sind in der Windrad-Diaspora Berlin rar (Summe über 100 Prozent wegen Rundungen).

Gleiches gilt für das Stadtwerk, das der Energietisch verlangt. Sein Gesetzentwurf gäbe vor, wie es auszusehen hätte: ein Landesunternehmen mit direkt gewählten BürgerInnen im Aufsichtsrat, sozialer Tarifstruktur und ökologischen Geschäftszwecken statt reiner Profitorientierung. Das Stadtwerk soll nicht nur erneuerbare Energien in Berlin und Brandenburg produzieren und damit den bisher marginalen Anteil der Berliner Haushalte erhöhen, die reinen Ökostrom beziehen (s. Grafik). Es soll auch auf eine Drosselung des Energieverbrauchs hinwirken, etwa durch Maßnahmen zur Gebäudesanierung. Es gibt Vorbilder für ein solches Stadtwerk: In Hamburg hat der 2009 gegründete städische Versorger die Ausschreibung für alle städtischen Einrichtungen gewonnen und versorgt nun Schulen, Behörden, Theater und Landesunternehmen mit Ökostrom. Und in Stuttgart wollen die durch eine Kooperation mit den Elektrizitätswerken Schönau entstandenen Stadtwerke bis 2020 den Strom für alle Stuttgarter Haushalte selbst erzeugen – ausschließlich aus erneuerbaren Energien.

Will Berlin sich von diesem Eifer anstecken lassen, braucht es dafür den politischen Willen und die nötigen Ressourcen. Um aber nicht nur eifrig, sondern auch erfolgreich zu sein, wird es auf noch mehr als auf ein erfolgreiches Volksbegehren ankommen: eine Strategie für den Umgang mit Vattenfall. Denn es ist kaum anzunehmen, dass der Konzern einem solch epochalen Wandel in der Energiepolitik der Stadt untätig zusehen würde.

Die Fernwärme als Hebel

Vattenfall betreibt auch Berlins Fernwärmenetz (s. Text rechts), dessen Wegenutzzungsrecht gleichermaßen abläuft. Und hier gibt es keine Vorschriften zur diskriminierungsfreien Ausschreibung wie beim Stromnetz. Will das Land verhandeln, hätte es mit der Fernwärme einen Hebel. Ob es überhaupt verhandeln will – das wird mit vom Ausgang des Volksbegehrens abhängen.