Straßen der Angst

GEWALT In Mexikos Städten ist Mord Alltag. Polizei, Kirche und Politik unterstehen den Drogenkartellen. Der Fotograf Teun Voeten dokumentiert ihre Verbrechen

Er hängt seine Kamera um. Er steigt in Autos, von Polizisten, von Journalisten. Er weiß: Er wird jetzt Orte besuchen, die niemand gerne besucht. Irgendwo in Mexikos Metropolen wartet der nächste zerschossene Körper. Teun Voeten, belgischer Fotograf, dokumentiert die Leichen, die in Straßengräben liegen, in Mülltonnen, die an Laternenpfählen hängen, manche nackt oder zerstückelt, die meisten von ihnen Opfer rivalisierender Drogenkartelle.

Business as usual für die mexikanische Polizei: Erst werden Fotos vom Tatort gemacht. Dann Patronenhülsen und Einschusslöcher am Körper gezählt. Dann wird mit Journalisten gesprochen. Dann der Bestattungswagen gerufen.

Berufsrisiko für Teun Voeten: Bosnien, Ruanda, Afghanistan und den Irak hat er fotografiert, nach Mexiko ist er zwölfmal in drei Jahren gereist. Nie länger als drei Wochen am Stück. „Sonst wird es zu gefährlich“, sagt er.

Eine extreme Form des Kapitalismus sei die organisierte Kriminalität der Kartelle. Mit dem Unterschied, dass keine Aktien verloren gehen, sondern Familienmitglieder. Kinder, Ehemänner, Brüder. In legalen Firmen waschen die Banden ihr Geld, um es dann in die Wahlkämpfe von Parteien zu stecken. Erpressung, Menschenschmuggel und Entführungen gehören dabei zu den lukrativsten Geschäften. Wer auf der falschen Seite steht, wird ermordet und an öffentlichen Plätzen abgelegt – als Warnhinweis.

Seit 2006 sind so rund 50.000 Menschen ums Leben gekommen. „98 Prozent dieser Morde werden nicht aufgeklärt“, sagt Teun Voeten. „Die Polizei hat entweder kein Interesse, keine Ahnung oder steckt selbst mitten im Krieg.“

Mit dem Bau von Kirchen versuchen Drogenbosse, ihr Gewissen reinzukaufen – und Politik zu betreiben. Sie beschäftigen Frauen als Kuriere und spendieren der Stadtverwaltung neue Straßen, Kindergärten, eine bessere Infrastruktur.

Darum solche Bilder, sagt Voeten. „Du kannst natürlich deine Augen vor alldem verschließen. Aber das ist mit Abstand die verwerflichste Einstellung, die ein Mensch haben kann.“

ANNE-SOPHIE BALZER

Die Bilder stammen aus dem Katalog „Narco Estado: Drug Violence in Mexico“. Lannoo, Tielt 2012, 144 Seiten, 32,99 Euro