Theater als Gruppenreise

16 Jahre nach seiner Gründung empfiehlt sich „Bremens Erstes Schulübergreifendes Theater“ (B.E.S.T.) per Buch und beiliegender DVD als nachahmenswertes Modell – zu Recht

Bremen taz ■ Richtig gutes Kinder- und Jugendtheater kommt irgendwann nach Berlin – um auf dem dortigen „Theatertreffen“ seine (hoffentlich) produktiven neuen Ansätze zur Debatte zu stellen. Die Bremer „B.E.S.T.“-Truppe hätte diesbezüglich auch einiges zu bieten. Aber da deren Innovationspotential nicht zuletzt darin besteht, unermüdlich die Produktionsräume zu wechseln, ist es mit auswärtigen Ehren Essig. Immerhin liegt jetzt ein Buch vor, das die 16-jährigen Erfahrungen von Bremens Erstem Schulübergreifendem Theater („B.E.S.T.“) zusammenfasst.

Autor Karl-Heinz Wenzel, Gründer und zusammen mit Jochen Schmidtmeyer Leiter von „B.E.S.T.“, nennt seinen Band ein „Plädoyer für ein anderes Jugendtheater“. Eines, das sich weder als Sozialarbeit noch als „eskapistische Freizeitbeschäftigung“ verstehe, sondern Jugendliche „in künstlerische Prozesse verwickelt“. Dieser Idee ist Wenzel seit 1990 gefolgt, mit tatkräftiger Unterstützung der oft gescholtenen Kulturbehörde. Seit dem Start mit der „Angst der Pampelmuse vor der Entkernung“, einem Stück über Integration, hat sich bei B.E.S.T. konzeptionell sehr viel entwickelt.

Äußerlich am Auffälligsten ist das Prinzip der Simultaneität: Immer sind alle auf der Bühne. Formal bedeutet das den Abschied von einer linearen Erzählstruktur, nebenbei wird so das Problem von Haupt- und Nebenrollen ad acta gelegt. Diese Verschränkung von ästhetischen und gruppendynamischen Lösungen ist typisch für den B.E.S.T.-Ansatz. Auch dem Publikum verlangt er eine permanente Aktivierung ab. Schließlich muss man ständig entscheiden, wohin man guckt.

Immer gilt bei B.E.S.T.: Das endgültige Thema wird erst festgelegt, wenn – oft per Zufall – ein Produktionsort gefunden ist. So geriet der Glücksfall, ein leer stehendes Hochregallager am Hafen mit all‘ seinem Metallgewirr bespielen zu können, zum Geburtshelfer für eine Produktion über Abschied und Trennung inmitten einer unüberschaubaren Weltsituation. Mit „Bauchklatscher“ wurde ein teilzerstörtes Hallenbad in der Vahr wieder belebt, „GeschlechterGefechter“ reflektierte im „Aladin“ über Männer- und Frauenrollen.

Ein weiteres Merkmal der Gruppe ist ihre Heterogenität. Als bewusst „schulübergreifendes“ Theater gewinnt sie ihre – jährlich wechselnden – Mitglieder nicht aus einem gemeinsamen Kontext, sondern vereint 16-jährige Gymnasiasten mit 25-jährigen Krankenschwestern und 19-jährigen Polizeischülern.

Zu Wenzels systematischer Darstellung dieser Arbeit gehört auch die aufschlussreiche Selbstdefinition des Spielleiters: Wenzel versteht sich als „Fremdenführer“, der die Gruppe animiert, bisher unbekanntes Terrain zu erkunden. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen diesen Ansatz ziemlich eindrucksvoll. HB

Karl-Heinz Wenzel: Theater in B.E.S.T.-Form, Plädoyer für ein anderes Jugendtheater, Deutscher Theaterverlag