Kirchen wollen die Macht zurück

In Bremen wird nicht mehr nur über Muslime als ReligionslehrerInnen gestritten. Es geht um die Ausgestaltung des ganzen Faches. Nicht der Staat sei dafür zuständig, sagen Kirchenvertreter – und denken sogar über eine Verfassungsklage nach

Bremen taz ■ Der Senat hat es sich leicht gemacht. Die CDU wollte wissen, ob der Biblische Geschichtsunterricht (BGU) an Bremer Schulen auch von Nichtchristen erteilt werden dürfe. Das Parlament antwortete so wunderbar uneindeutig, dass jede Seite hernach reichlich Interpretationsspielraum hatte. In der Folge ist der Kampf zwischen Religionspädagogen und den Kirchen noch heftiger geworden. Gestritten wird nicht mehr nur um Muslime im Klassenzimmer, es geht um Machtansprüche der Geistlichen und gar die Trennung evangelischer und katholischer Kinder im Religionsunterricht. Und das in Bremen.

Laut Landesverfassung, und dafür gibt es eigens die „Bremer Klausel“ im Grundgesetz, wird der Religionsunterricht konfessionell ungebunden und „auf allgemein christlicher Grundlage“ erteilt. Doch was heißt das? Man könne das normativ auslegen und ein Bekenntnis des Lehrenden zum Christentum voraussetzen, meint der Leiter des Fachbereichs Religionspädagogik an der Bremer Universität, Jürgen Lott. Oder aber: „Wir befinden uns in einem christlich geprägten Kontext und deshalb ist dieser vorrangiger Gegenstand – und das ist unser Konzept.“ Man betrachte Religion aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven und frage auch nach Theologien wie dem Islam oder dem Judentum.

„Das ist gegen die Verfassung“, behauptet Wilhelm Tacke, Sprecher der Bremer Katholiken. Seine Erklärung: Vom BGU könne sich jeder Schüler abmelden und jeder Lehrer könne die Unterrichtung verweigern. „Dieses Recht macht nur Sinn, wenn das Fach nicht als Religionskunde sondern als Religionsunterricht gedacht ist.“ Ein feiner Unterschied. Für Tacke ist das eine ein Reden „über Religion“ als Außenstehender, das andere ein Reden „von Religion“ als Beteiligter. Und er fordert Beteiligung.

Der Senat hat sich jedoch nur so weit festgelegt, dass „im Einzelfall“ eine religiöse Überzeugung dazu führen könne, dass die Wissensvermittlung nicht in der von der Verfassung verlangten Objektivität möglich sei. Ganz klar, interpretiert Claas Rohmeyer (CDU), „es müssen Christen sein“. Doch für Jürgen Lott ist das lediglich der Versuch, die große Koalition für eine Konfessionalisierung zu nutzen. „Aber es kann nicht sein, dass das, was in Kirchen und Familien an Religiosität nicht passiert, an die Schulen verwiesen wird.“

Doch auch die Protestanten sehen die Politik plötzlich auf ihrer Seite. Louis-Ferdinand von Zobeltitz, leitender Geistlicher der Bremischen Evangelischen Kirche, sieht „eine Spannung zwischen dem Verfassungsgebot der allgemein christlichen Grundlage und der Wirklichkeit unserer Schullandschaft“. Wilhelm Tacke drückt es drastischer aus: „Irgendwann haben sich die Lehrer dieses Unterrichts bemächtigt“, sagt er. Doch laut Verfassung sei eben nicht der Staat, sondern die Kirchen für den Religionsunterricht zuständig, sagt von Zobeltitz. Dieser Widerspruch werde auch vom Senator gesehen. „Von Willi Lemke wie von keinem anderen.“

Für die Religionspädagogen ist dagegen der gemeinsame BGU die beste Möglichkeit, über kulturelle und religiöse Unterschiede zu diskutieren. Unterstützung bekommen sie von Wolfram Weiße, Hamburger Religionspädagoge. „Heterogenität ist eine Ressource, keine Gefahr“, sagt Weiße. Das sei, auch europaweit, das Modell der Zukunft.

Dies sehen die Kirchen anders. „Wir wollen keine Diskussion lostreten“, sagt von Zobeltitz. „Wenn aber der BGU in Richtung eines neutralen Religionsunterrichts verändert werden soll, stehe ich dafür, dass wir dann einen konfessionellen Unterricht bekommen.“ Ein Satz mit Sprengkraft. Für eine mögliche Verfassungsklage hat man sich bereits vorbereitet, mit einem Gutachten des Erlanger Kirchenrechtlers Christoph Link. Wilhelm Tacke glaubt, dass dann die ganze Bremer Klausel ausgehebelt würde – und das Land getrennten Religionsunterricht bekäme.

„Wenn die Kirche Herrschaftsansprüche stellt, hat sie schon verloren“, sagt Manfred Spieß von der Aktionsgemeinschaft Biblische Geschichte. Der BGU-Lehrer verlässt sich dabei auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts, wonach es dem Staat nicht zusteht, „die Bekenntnisorientierung zu prüfen“ – und die Unterstützung der KollegInnen und der SchülerInnen. Keiner wolle das Rad der Geschichte zurückdrehen, sondern das Fach ausbauen und stabilisieren. „Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns Gutachten um die Ohren hauen.“ Das eigentliche Problem ist nach seiner Meinung nämlich ein anderes: Rund die Hälfte der bremischen SchülerInnen erhalten demnach überhaupt keinen Religionsunterricht. Achim Graf