Deutsche Helden

Ernst Udet, Monika Dannemann: In „Wunderwaffe Witzkanone“ erzählt Christian Meurer die Biografien von Halbprominenten

Wussten Sie, dass Rudolf Heß ein Irrer war? Oder dass Ernst Udet, dem Carl Zuckmayer als „Des Teufels General“ ein literarisches Denkmal setzte, vor allem als versoffener Halodri in Erscheinung trat? Wussten Sie, dass Jimi Hendrix sich gern in der Nähe Hitlers gesehen hätte? Dass ein in den Urwald geflohener Deutscher als Häuptling Tatunca Nara herumspinnt? Haben Sie je von dem Buch „… da war ein Mädchen“ gehört, in dem die Willy-Brandt-Geliebte Susanne Sievers mit dem späteren Bundeskanzler abrechnete?

Vielleicht muss man das alles auch gar nicht wissen. Und doch ist signifikant, was herauskommt, wenn sich jemand wie Christian Meurer mit den Biografien von mehr oder minder großen Persönlichkeiten beschäftigt, und wie sehr sich die Ergebnisse, die er zutage fördert, von dem unterscheiden, was gemeinhin kolportiert wird. Meurer ist Kreuzworträtselfreunden ein Begriff, da er die FAZ- Denksportaufgaben in Buchform herausgegeben hat; Beobachter der deutschen Humorszene kennen ihn als Herausgeber einiger Werke von Heino Jaeger und als Autor für Titanic, taz und Kowalski; Dritte wiederum, sofern sie sich in der Umgebung von Itzehoe aufhalten, lesen dank Meurer in ihrer Lokalzeitung des Öfteren Erquickliches über Itzehoes in der Regel unbekannte Verbindungen mit weltbekannten Ereignissen.

Meurer hat eine Vorliebe für deutsche Heldengeschichten entwickelt, der Untertitel seines soeben erschienenen Aufsatzbandes „Wunderwaffe Witzkanone“, „Heldentum von Heß bis Hendrix“, führt daher ein wenig in die Irre. Denn auch bei „Hendrix“ geht es weniger um den Ausnahmegitarristen als vielmehr um dessen letzte Geliebte Monika Dannemann, die nach Hendrix’ Tod meinte, sein geistiges Erbe mitverwalten zu müssen, und in Bildern, die sie für, durch oder mit dem verstorbenen Geliebten malte, auch das urdeutsche Bi-Ba-Butzemännchen unterbrachte.

Das urdeutsche Wesen, das sich in Verklemmungen und neurotischen Ausbrüchen ausdrückt, wirkt für die, die davon lesen, nur noch komisch. Rudolf Heß etwa, den Meurer zu Recht als „Taugenichts“ bezeichnet, wird uns nicht nur als Esoteriker vorgestellt, sondern auch als Idiot, der Selbstmord begehen wollte, indem er sich aus dem ersten Stock stürzte. Der seine Schriften in seiner Unterwäsche verbarg, damit ihm die alliierten Wächter sie nicht stehlen konnten, in seiner Spandauer Zelle zeitgleich aber Regierungserklärungen vorbereitete. Wurde Heß in den Tagebüchern von Albert Speer als jemand dargestellt, der unter Realitätsverlust litt, so macht Meurer nun klar, das Heß offensichtlich nie ein Bewusstsein von der Wirklichkeit hatte.

Ebenso wird der Flieger Ernst Udet, der, obschon Fliegergeneral der Wehrmacht, gern als Antifaschist wahrgenommen wird, von Meurer ins richtige Licht gerückt. Er war ein Draufgänger, der dem Cognac über alle Maßen zusprach. Er war ein Gegner der Nazis, gern aber der Träger ihrer Uniform. Udets Leben zeigt, dass das wilde Bohemeleben der so oft gepriesenen goldenen Zwanzigerjahre nicht selten von jenen Existenzen geführt wurden, die sich bereits im Ersten Weltkrieg aufgegeben hatten. Daher war es Udet offensichtlich egal, ob er im Kintopp Karriere machte, sein Geld verjuxte oder unter seinem ehemaligen Geschwaderkapitän Göring nun wieder eine gesicherte Existenz fand. Auch Udets Selbstmord war eher Folge einer privaten Krise als ein politisches Zeichen.

Meurer hat mit dem Coverfoto, das von ihm selbst stammt, bereits vorgegeben, was das Buch motiviert. Man sieht das U-Boot U 995 mit seiner Original-Kriegsbemalung: den „Fang den Hut“-Männchen. Der Ungeist, der Erwachsene so etwas an ihre Kriegsgeräte malen lässt, beseelt die Biografien derer, die Meurer hier vorführt. Er macht es ohne Hohn. Denn sie alle entlarven sich selbst. JÖRG SUNDERMEIER

Christian Meurer: „Wunderwaffe Witzkanone“. Oktober Verlag, Münster 2005, 240 Seiten, 14 Euro