berliner szenen Prenzlberg-Realismus

Winter vorm Kino

„Sommer vorm Balkon“ angucken war der Plan. Die Frage, ob Andreas Dresen in seiner Sozialkomödie das Leben rund um den Helmholtzplatz realistisch eingefangen hat, interessierte uns dabei eigentlich nicht. Doch wir bekamen unfreiwillig eine Antwort: In Massen nämlich stand das Prenzlberger Leben an diesem Abend – Kartenpreis vier Euro fünfzig – im und vor dem Kino der Kulturbrauerei. Prenzlberger, die sich wohl nur mehr am Kinotag einen Filmbesuch leisten können. Was erstaunt, weil die Gegend um Helmholtzplatz und Kulturbrauerei ja irgendwie auch die Gegend um den Käthe-Kollwitz-Platz ist.

Draußen vor den Glastüren des Kinos herrschten eisige Temperaturen, vor uns wand sich eine U-förmige, gut 25 Meter lange Menschenschlange. Etwa zwanzig Minuten später erfuhren wir an der Kasse, dass es keine Karten mehr für den Film gebe. Nicht für die Vorstellung um acht, nicht für die um halb neun, nicht für die um viertel vor elf. Für elf bot man uns aber noch zwei Restplätze an, erste Reihe, einer links und einer rechts außen. Danke auch.

Warum die Kinobetreiber den kompletten Ausverkauf nicht etwas früher bekannt gegeben haben, mag daran gelegen haben, dass sie verzweifelte Kinogänger in weniger begehrte Filme wie „Factotum“ oder „Oliver Twist“ lotsen wollten. Aber wir wollten uns nicht lotsen lassen. Etwas später teilte ein Mitarbeiter doch noch zögerlich der Menge mit, dass es keine Karten mehr für Dresens Film gebe – gut, dass Blicke nicht lynchen können.

Wir sind dann was trinken gegangen. Und später am Abend ins Filmtheater am Friedrichshain. Es lief „Sommer vorm Balkon“, die Karte für fünf Euro neunzig. Der Saal war fast leer.

SEBASTIAN FRENZEL