: Die Schrumpelmöhre hat keine Chance
Längst ist der Kauf im Bioladen kein ideologisches Statement mehr. In Berlin tobt ein Verdrängungskampf: Kleine Naturkostläden leiden unter den Bio-Supermärkten. Auch normale Discounter wie Edeka oder Kaiser’s setzen auf Natur
Frisch und hell, freundlich und preiswert, das sind Slogans der Biosupermärkte. Sie haben in den letzten sechs Jahren den Bioeinzelhandel in der Stadt gründlich aufgemischt. In kurzer Zeit sind 20 Biosupermärkte entstanden, und die Kette der Neueröffnungen reißt nicht ab: Am 6. Februar eröffnet die Biosupermarktkette Viv-Bio-Frischemarkt in der Leonorenstraße in Lankwitz ihre siebte Filiale in Berlin.
Bis 1999 war der hauptstädtische Bioeinzelhandel ein vernachlässigter Sektor. Inzwischen sind neben den Biosupermärkten auch die konventionellen Supermärkte und Discounter ins Geschäft eingestiegen. Ob Edeka, Kaiser’s oder Plus – die Verfügbarkeit von Biolebensmitteln nimmt rasant zu. Zudem sind die Ökomärkte als Teil der Kiezkultur aus den Stadtteilen nicht mehr wegzudenken.
Paradoxerweise hat das Geschäft mit den Biokisten dadurch keinen Schaden genommen. Das Ökodorf Brodowin beliefert allein 1.600 Haushalte in Berlin. Auch im zehnten Jahr wächst der Lieferservice und mit ihm die Zahl der Abonnenten. 17 Touren gehen von Montag bis Samstag von Brodowin im Landkreis Barnim aus direkt ins Stadtgebiet.
Die Situation der etwa 150 Naturkostläden ist indes heterogener. Entscheidend fürs Überleben sind, neben einem zeitgemäßen Konzept, die Lage und die Kundenbindung. Kleine Geschäfte mit unter 100 Quadratmeter Verkaufsfläche, die ihr Konzept nicht ändern können oder wollen, sind dem Untergang geweiht. Miesepetrigkeit des Verkäufers tolerieren Kunden nicht mehr, sie wandern in anonymere Biosupermärkte ab.
Denn der Kauf im Naturkostladen ist längst kein ideologisches Statement mehr. Er ist vielmehr ein stilles Engagement geworden. Dabei geht es der Klientel vor allem um Gesundheit, gute Produkte und ein freundliches Flair. Und um Preise, die als akzeptabel empfunden werden.
Dass Biosupermärkte immer günstiger seien als kleine Biofachgeschäfte, ist eine Mär. Die Stärke der Großen sind einige wenige Niedrigpreisangebote. Der Rest bewegt sich im mit Naturkostläden vergleichbaren Preissegment. Zudem gewähren die Märkte von Eo (eat organic) oder Viv-Bio-Frischemarkt mit Kundenkarten geringfügige Rabatte. Damit soll neben Kundenbindung das preisgünstige Image unterstützt werden. Doch die wirkliche Stärke der großen Märkte ist ihr umfangreiches Frischesortiment.
Die Biosupermärkte erschließen sich dabei eine neue Klientel. „70 bis 80 Prozent unser Kunden haben vorher nicht Bio gekauft“, sagt Frank Lüske, Inhaber des Supermarkts Biolüske in der Drakestraße in Lichterfelde West. Die Biosupermärkte verknüpfen gute Produkte geschickt mit Supermarkt-Feeling.
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Wenn ein Biosupermarkt eröffnet, spüren das die umliegenden Naturkostläden. Seit etwa am Kleistpark in der Hauptstraße eine Filiale der Bio Company eröffnet hat, habe sich das Einkaufsverhalten ihrer Kundschaft verändert, sagt die Mitarbeiterin eines Naturkostladens, den es seit mehr als 20 Jahren dort gibt. Viele Kunden würden für die großen Wocheneinkäufe zum Biosupermarkt gehen. Dem Naturkostladen blieben sie treu, doch nur noch für kleine Käufe: Brot, Milch oder Kaffee. Der Umsatz sinke.
Doch nicht alle Biosupermärkte setzen auf Expansion. Biolüske zeigt, dass es auch anders geht. Der Markt in einem restaurierten Kinosaal wurde unlängst zum „Besten Bio-Supermarkt Deutschlands“ gekürt. Statt auf billig setzt der 37-jährige Frank Lüske auf neue Ideen. Auf der Empore des Kinos hat er ein Biokochstudio eingerichtet; hier finden Kochkurse und Lesungen statt. Das Konzept wird in Lichterfelde angenommen. „Der niedrige Preis allein wird es in Zukunft nicht sein“, sagt Lüske.
TILL EHRLICH
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