Die versteckte Langsamkeit

Österreichs Rotweine sind Newcomer unter den internationalen Spitzenweinen. Neben der Schnelligkeit des Erfolges bilden sich individuelle Weinstile heraus. Die brauchen ihre Zeit

VON TILL EHRLICH

Guter Wein ist langsam. Es kann Jahre dauern, bis er den Gipfel seines Geschmackes erreicht hat. In Österreich ging alles schnell. Das klassische Weißweinland brachte in den Neunzigerjahren unerwartet rote Spitzenweine von Format hervor. Scheinbar aus dem Nichts. Ein Weinwunder. Seit etwa drei Jahren ist der Boom verebbt. Die Keller sind voll, die Nachfrage stagniert.

Einerseits sind Spitzenrotweine entstanden, die dem zeitgeistigen Weingeschmack entgegenkommen mit hohen Alkoholgraden und überbordendem Fruchtgeschmack. Sie heißen „Schwarz Rot“ und „Salzberg“, „Phantom“ und „Hill“. Es sind Weine aus internationalen Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Syrah. Sie werden oft in Cuvées mit den traditionellen österreichischen Rotweinsorten Blaufränkisch, Sankt Laurent oder Zweigelt verschnitten.

Resultat sind meist Rote, die mit ihrer Opulenz und Vollmundigkeit schon mit dem ersten Schluck beeindrucken sollen. Dabei geht es um einfache Frucht- und Gewürzanalogien, um die schnelle Wiedererkennbarkeit von Brombeere, Johannisbeere oder Vanille. Denn der Markt will die satte Frucht. Sie ist sein Diktum.

Diese Weinrichtung ist eine internationale Mode, sie feierte in der letzten Dekade auch in Österreich schnelle Erfolge. Sie hat das kleine Weinland auch äußerlich verändert. Viele Weingüter wollten ihre bäuerlichen Milieus abstreifen wie eine Haut, Stararchitekten haben sie in kühne Glaswürfel oder pathetische High-Tech-Kathedralen verwandelt. Weingüter wie Lackner-Tinnacher in der Steiermark und Leo Hillinger oder Gernot Heinrich am Neusiedler See künden nicht nur von internationaler Marketing-Architektur, sondern auch von einer inneren Zeitenwende im Weinbau der Alpenrepublik.

Aber zugleich bildet sich eine Gegenströmung. Sie bringt Weine hervor, die sich dem geschmacklich Uniformen verweigern. Es sind oft langsame und manchmal auch schwierige Rotweine. Besonders im Burgenland hat sich eine Weinstilistik entwickelt, die ebenso eigen wie anspruchsvoll ist. Ein Zentrum dieser authentischen Weine ist Gols, eine protestantische Enklave am Nordufer des Neusiedler Sees. Gols ist ein spröde und nüchtern wirkender Weinort, zwischen Wien und der ungarischen Grenze. Weinromantik sucht man dort vergebens.

Weingüter wie die von Hans und Anita Nittnaus, Judith Beck und Claus Preisinger richten ihren Ehrgeiz auf Blaufränkisch, Sankt Laurent und andere Traubensorten, die schon lange im Burgenland heimisch sind, sich im dortigen heißen pannonischen Klima weiterentwickelt und bewährt haben. Die 27-jährige Judith Beck steht an der Spitze dieser Entwicklung, sie arbeitet in ihren Rotweinen einen radikalen und komplexen Traubengeschmack heraus, der mit einer feingliedrigen Textur verwoben ist. Es sind Rotweine, die aufstören. Weine, die nicht überwältigen, sondern die Sinne fordern. Sie haben durchaus Säure, verfügen über ein gutes Lagerungspotenzial. Sie sind langsam. Und diskret.

„Die Dinge müssen langsam wachsen“, sagt Winzer Roland Velich, ein reflektierter Vordenker und Qualitätsfanatiker. Velich hat ein Weingut gegründet, in dem nur Rotweine aus Blaufränkisch entstehen. Es heißt „Moric“, ein ungarisch klingender Fantasiename, der an die pannonischen Wurzeln der burgenländischen Weinkultur erinnern soll. Velich gelingt es, den Blaufränkisch in einer Art zu interpretieren, die eigenständig und neu in Österreich ist. Delikatesse und Feingliedrigkeit sind der Ausdruck seiner Rotweine. Sie sind ihrer Zeit voraus.

Doch was ist mit Pinot Noir, der anspruchsvollsten aller roten Sorten? Im Burgenland ist es für die launische Weinpflanze zu heiß. Sie wird dort zu schnell reif, kann ihr hochfeines Aromenspektrum nicht optimal ausbilden. Anders im kühleren Kamptal. In den Weingärten von Schloss Gobelsburg entstehen bemerkenswerte Pinot-Noir-Weine.

Das Kamptal ist eigentlich ein klassisches Weißweingebiet mit Urgesteinsböden, doch das Gobelsburger Hochplateau ist anders, es bildet eine geologische Besonderheit in der Region. Die Flussläufe von Urdonau und Urtraisen haben im Tertiär Alpenschotter angeschwemmt. Faustgroße runde Kieselsteine. Sie bilden heute Boden des Gobelsburger Plateaus, eines steinigen Terrains mit heißen Böden. Es kommt besonders dem Pinot Noir entgegen, hebt seine Fruchtfinesse und die feingliedrige Geschmackstruktur hervor.

Michael Moosbrugger hat Schloss Gobelsburg mit den dazugehörigen Weingärten 1996 mit seinem Partner Wilhelm Bründlmayer von den Zisterziensermönchen des Stiftes Zwettl gepachtet. Seitdem ist Gobelsburg das Zentrum einer stillen Wein-Renaissance. Die kommt nicht aus dem Nichts, ist in einer Tradition verortet.

Die Zisterzienser haben eine jahrhundertealte Weinkultur entwickelt. Die Zeitläufte mögen wechselvoll gewesen sein, was die Qualität der Gobelsburger Weine betrifft, doch abgerissen ist der Weinbau dort nie. Nach dem Krieg hat Altabt Pater Bertrand Baumann dem Gobelsburger Weinbau neue Impulse geben. So hat er die heute ältesten Pinot-Noir-Stöcke des Kamptales gepflanzt. Aus ihnen entsteht Moosbruggers Pinot Noir. Die Zisterzienser stammen aus Burgund, sie haben den Pinot Noir ins Kamptal gebracht. Die rote Traube hat symbolische Kraft für die Mönche.

Und Michael Moosbrugger lässt aus 40-jährigen Reben einen Rotwein entstehen, dessen Eigenheit Spuren im Gedächtnis hinterlässt. Das hebt ihn aus der Masse mediokrer Weine hervor.