Seehofer vergeht der große Gen-Appetit

Der Bundesagrarminister versucht auf der Grünen Woche, die Genkritiker zu beruhigen. Er will nichts fördern, „was Menschen schädigt“. Städte wie München erklären sich zur „genfreien Zone“. Und Hipp-Babykost will gehen, wenn Genpflanzen kommen

VON HANNA GERSMANN
UND MIRJAM MEINHARDT

„Atomwaffenfreie Zone“ – die meisten werden sich an die Schilder, die Ende der 80er-Jahre an Ortseingängen standen, erinnern. Sie könnten nun reaktiviert werden – mit der Aufschrift „Genfreie Zone“. Hintergrund: Der CSU-Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) spricht sich für die „grüne Gentechnik“ aus. Auf der Grünen Woche gab er sich gestern zwar bedeckt – „Wir werden nichts tun, was die Umwelt oder den Menschen schädigen kann“. Ändern wird das Versprechen aber wenig: Überall regt sich der Gen-Widerstand.

Zum Beispiel in München. Der Stadtrat hat schon längst Folgendes festgelegt: „Wir wollen gentechnikfrei bleiben!“ Als Gemeinde mit vielen Äckern und Feldern ist die bayerische Landeshauptstadt freilich nicht bekannt. Sie kann ihren Willen aber auf den elf städtischen Gutsbetrieben und den übrigen landwirtschaftlichen Flächen durchsetzen. Zusammen sind das 3.200 Hektar, auf denen derzeit weder Saat noch Futter aus dem Genlabor verwendet werden. Christoph Gernhäuser von der Stadt München begründet: „Die Unsicherheiten sind uns zu groß.“ Dasselbe Bild im nordrhein-westfälischen Bochum, in Schwalmtal in Hessen, in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein oder Halle in Sachsen-Anhalt.

Die wahren Pioniere waren allerdings die Kirchen. „Keine Gentechnik auf Kirchenland“ – die evangelische Synode in Sachsen verbietet ihren Pächtern schon seit neun Jahren Genpflanzen anzubauen. Zudem haben 23.000 Landwirte erklärt, ihre Flächen nur mit konventionellen Pflanzen zu bestellen. So bleiben 1,56 Millionen Hektar garantiert Genpflanzen-frei.

Offenbar ist das im Sinne der Verbraucher: Laut einer Forsa-Umfrage sind fast 80 Prozent von ihnen skeptisch gegenüber Gentechnik. Umweltschützer sorgt vor allem, dass sich Pflanzen, deren Erbsubstanz im Labor verändert wurde, unkontrolliert ausbreiten könnten. In der Schweiz lehnen mehr als die Hälfte aller Eidgenossen Designerpflanzen ab. Dort hat es eine Volksabstimmung gegeben. Dies holt der Bund für Umwelt und Naturschutz nun für Deutschland nach – symbolisch: Auf der Grünen Woche sollen die Besucher für oder gegen genmanipuliertes Essen votieren.

Ob Seehofer auf das Ergebnis reagiert, ist offen. Der Bayer hat sich bereits deutlich gentechfreundlicher positioniert als Vorgängerin Renate Künast (Grüne). Kaum war er im Amt, veranlasste er das Bundessortenamt, erstmals Genmais für den kommerziellen Anbau zuzulassen. Bauern, die sich von den schädlingsresistenten Pflanzen hohe Gewinne versprechen, können diese im Frühjahr säen. Andere glauben, die neue Gen-Politik schädige das Geschäft: Claus Hipp, Hersteller von Babykost, drohte auf der Grünen Woche, die Produktion ins Ausland zu verlagern – falls hierzulande zu viele Designerpflanzen blühen.

An diesem Wochenende findet inBerlin die 2. Europäische Konferenz zu „gentechnikfreien Regionen“ statt. www.gmo-free-regions.org