KOMMENTAR VON CHRISTIAN JAKOB ÜBER DIE VERURTEILUNG VON EXDIKTATOR RÍOS MONTT
: Späte Genugtuung für die Opfer

Das Urteil zeigt: Die Institutionen sind nicht mehr nur in Händen der Reaktion

Kaum irgendwo sind die sozialen Gegensätze so scharf wie in Lateinamerika. Arm und Reich, Weiß und Indigen sind hier seit jeher strikt getrennt. Dieses Gefüge hat die herrschende Schicht lange gegen alle Angriffe – von Guerillas, von parlamentarischen oder von zivilgesellschaftlichen Bewegungen – zu verteidigen gewusst.

In Guatemala fiel die Abwehr der Forderung nach Umverteilung besonders blutig aus. Dass die Justiz die Kriegsverbrechen jemals ahnden würde, war für sie unvorstellbar. Zu lange stand sie in Lateinamerika verlässlich auf der Seite der Mächtigen. Mit dem überraschenden Urteil über Ríos Montt hat diese Einheit einen Riss bekommen. Es ist offen, wie es weitergeht: Ob der Exgeneral im Militärgefängnis sterben oder nach einer Berufung sein Lebensende doch noch in Freiheit verbringen wird. So oder so: Der Richterspruch ist in der Welt und er zeigt eine Veränderung des sozialen Kräfteverhältnisses.

Es ist den Reaktionären weder gelungen, Montt zu retten, noch, die offizielle Feststellung eines Völkermordes zu verhindern. Versuche dazu hat es genug gegeben. Auf der politischen Ebene bestanden diese vor allem in nationalistischen Kampagnen: „Die Menschenrechtler“ wurden als ausländische Elemente hingestellt, deren Ziel es sei, die Einheit Guatemalas zu zersetzen. Diese Argumentation begleitete den Prozess gegen den Putschisten Montt seit Langem.

Dass die Rechten es nötig hatten, auf solche Weise Stimmung gegen das Gericht zu machen, ist ein gutes Zeichen. Denn es beweist: Sie haben die staatlichen Institutionen nicht mehr vollständig in der Hand – sonst wäre es überhaupt nicht zu dem Prozess gekommen, geschweige denn zu einem Urteil.

Das stärkt die Zivilgesellschaft, die seit Jahrzehnten für die Aufarbeitung der Verbrechen gekämpft hat – und dabei oft massiven Drohungen ausgesetzt war. Dennoch ist es ihr gelungen, Institutionen auf ihre Seite zu ziehen, von denen sie lange Zeit nichts zu erwarten hatte. Diese Stärkung können die sozialen Bewegungen gut gebrauchen. Denn die Aufarbeitung des Bürgerkriegs ist nicht beendet, nur weil Montt im Gefängnis sitzt. Und die sozialen Probleme, die damals den Krieg ausgelöst haben, bestehen fort. Doch die Vorzeichen, unter denen der Kampf um Umverteilung geführt wird, sind jetzt nicht mehr dieselben.

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