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Klitschnasse, einsame Gestalten

Wenn Beziehungen baden gehen: Alize Zandwijk inszeniert Gorkis „Sommergäste“ im Thalia Theater

Sie verstehen sich nicht. Der Regen prasselt so lautstark, dass er alle Worte übertönt. Aber auch, als der Sommerguss in leisem Tröpfeln endet, hören Sergej und seine Frau Warwara nicht wirklich aufeinander. „Keiner versteht den anderen. Jeder will den anderen übervorteilen, weniger geben und mehr nehmen“, sagt sie später zu ihren Freundinnen.

Ein trauriges Resümee über das menschliche Miteinander. Es könnte als Motto über dieser Inszenierung stehen. So radikal sich in den rund 100 Jahren seit der Uraufführung von Maxim Gorkis Drama „Sommergäste“ Russland und die übrige Welt veränderten, so vertraut klingt die Klage über das gegenseitige Unverständnis, die Leere und Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz. Nur einer der 13 Sommerfrischler, die sich in der Datscha des Anwalts Sergej treffen, ist nicht am Grübeln und Verzweifeln: der Hausherr selbst: „Ich liebe die Natur, und die Menschen liebe ich auch. Ich liebe mein riesiges, armes, schönes Land“, sagt er.

Doch Sergej (Jörg Pose) spricht nicht, er deklamiert. Er betont jedes Wort einzeln und zieht damit all sein Reden ins Lächerliche. Poses Auftreten hat Methode. Alize Zandwijk, Direktorin am Rotterdamer Ro-Theater, die in der vorigen Spielzeit bereits Tschechows „Iwanow“ am Thalia Theater inszeniert hat, lässt die meisten Schauspieler überagieren. Drei Paare und etliche Singles stapfen in klitschnasser Regenkleidung auf einer Bühne, die zum Träumen schön ist, wären da nicht diese unwürdigen Menschen. Thomas Rupert hat ein stimmungsvolles Ambiente für ihre Streitereien und Flirts, Intrigen und Enttäuschungen geschaffen. Hohes Schilf säumt das Seeufer, an dem sich eine Terrasse mit charmant abgeblätterter Wand in Toskanagelb und einem luftigen Dach aus gewelltem Glas und Holz anschließt.

Urlaubsstimmung will allerdings nicht aufkommen, in allen Ehen kriselt es. Die prollig nölende Olga (herrlich hysterisch: Victoria Trauttmansdorf) hat neben vier Kindern noch ihren unflätigen Ehemann (Harald Baumgartner) zu versorgen. Die männerliebende Julija (Judith Hofmann) schlägt ihrem windelweichen Ehemann Suslow (Werner Wölbern) vor, sich nacheinander zu erschießen. Und die stille, stolze Warwara, von Maren Eggert königinnenhaft verkörpert, verachtet ihren Ehemann. Wie verklemmt Sergej ist, eine kurze starke Szene: In mühevoller Kleinarbeit zwängt er sich die trockene Unterhose unter die nasse Badehose. Szenenapplaus!

Schade nur, dass die komische und wasserliebende Ader der Regisseurin manchmal mit ihr durchgeht. Über weite Strecken des zumeist kurzweiligen Abends weiß Zandwijk aber mit originellen Ideen zu fesseln. Als Antwort auf die schwüle Poesie der düsteren Dichterin Kalerija (Susanne Wolff) zieht sich Warwaras Bruder Wlas (Andreas Döhler) splitternackt aus und springt kopfüber in den See.

Ein Befreiungsschlag, dem noch andere folgen. Denn anders als bei Tschechows sehnsuchtsvollen Dramen, die in Stagnation enden, kommt bei Gorki bereits eine vorrevolutionäre Stimmung auf. Hier jammert die bürgerliche Intelligenz nicht nur, sie handelt auch. Seltsam aber, dass gerade die hoffnungsvollen Passagen so verstaubt und hölzern wirken. Das utopische Moment scheint für Zandwijk eine lästige Pflichtübung zu sein. Was sie interessiert, sind einsame Seelen und verkorkste Beziehungen. Das ist zwar hochaktuell, doch der letzte Biss fehlt. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 29.1. um 14 und 20 Uhr, Thalia Theater

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