Ohne Neugier kaum Geschmack

Orchester zu dirigieren ist immer noch Männersache? Nein – sagt die Finnin Susanna Mälkki, die jetzt in der Glocke zu sehen ist. Ein Gespräch über Dirigentinnen, zeitgenössische Musik und das Kochen

Bremen taz ■ Heute und morgen gastiert die junge finnische Dirigentin Susanna Mälkki in Bremen. An der Sibelius-Akademie in Helsinki als Cellistin ausgebildet, dirigiert sie inzwischen die großen Orchester der Welt und übernimmt nun die Leitung des renommierten Pariser „Ensemble Contemporain“, das ausschließlich zeitgenössische Musik spielt.

In vielen Gesprächen sagten Dirigentinnen, es gäbe keine Probleme mit dem Orchester. Im Lauf des Gesprächs änderte sich das aber…

Susanna Mälkki: Nein, für mich, für meine Generation gibt es heute keine Probleme. Es sei denn die, die alle jungen Dirigenten haben. Da wird man erst einmal getestet, um nicht zu sagen reingelegt. Du musst allerdings künstlerisch und organisatorisch sehr viel leisten, vielleicht kommen Männer da manchmal leichter durch. Noch vor zwanzig Jahren war die Dirigentin allerdings kaum vorstellbar.

In welcher Richtung sollten sich die Orchester verändern?

Das wichtigste ist, zeitgenössische Musik zu machen.

Wenn Sie an diesem Musikbetrieb etwas ändern könnten, sofort ändern, was wäre das?

Das Publikum muss neugieriger werden. Britten, Schostakowitsch, Musik, die siebzig, achtig Jahre alt ist, gilt vielen Menschen noch immer als ganz neue Musik, auch Webern und Schönberg. Mit der Neugier ist es wie beim Kochen, Pfeffer, Salz, Sahne, Butter, alles Klasse, aber ohne Neugier gibt es keinen anderen Geschmack, zum Beispiel der von Koriander.

Welche menschlichen Fähigkeiten braucht ein Dirigent neben dem „Handwerk“ des Taktschlagens?

Die Umstände sind überall vollkommen verschieden, die Kulturen, in denen du arbeitest. Man muss ganz schnell kapieren, was jetzt wichtig ist. Das wichtigste ist und bleibt das Dirigieren selbst. Es ist der einzige Weg, das Publikum zu überzeugen.

Sie sind zuerst Cellistin gewesen. Wie kam es denn zu der Entscheidung, doch besser zu dirigieren?

Ich wollte einfach selbst gestalten. Und ich habe in so vielen Orchestern gespielt, dass ich genau weiß, was die von mir als Dirigentin erwarten. Und das Cello bildet ja in der Regel die strukturelle Basis.

Heute und morgen Abend spielen Sie mit den Bremer Philharmonikern Claude Debussys sinfonische Dichtung „La Mer“. Dieses Stück ist 100 Jahre alt und zählt zu den Revolutionen in der Musikgeschichte. Welche Herausforderung ist es heute für Sie?

Schwer zu sagen, es ist einfach so fantastische Musik, immer von neuem staune ich, wie brillant diese Partitur ist, ich entdecke noch immer ständig neue Sachen. Und übrigens ist dieses Orchester fabelhaft, wie schnell und sensibel alle immer neue Feinheiten umsetzen.

Ziehen Sie biographische und musikhistorische Kenntnisse zu Ihren Interpretationen heran?

Ja, sicher. Aber meist ist es auch so, dass die Musik selbst das Leiden der Komponisten zeigt.

Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Mein Beruf ist mein Hobby. Ich lese, tue etwas für die Fitness und koche!

Ute Schalz-
Laurenze

Heute und morgen Abend: Philharmonisches Konzert jeweils um 20 Uhr im Großen Saal der Glocke