DIE WERBEPAUSE: Austrinken und entsorgen
Das Publikum klatscht. Die Frau verlässt die Bühne, strahlt mit ihrem Pailettenschmuck um die Wette. Zufrieden kommt sie in ihrer Garderobe vor dem großen Schminkspiegel an. Dort legt sie ab: erst den Kopfschmuck, dann Ohrringe, Federboa und künstliche Fingernägel. Zu guter Letzt die Perücke. Und siehe da, die Gefeierte ist gar keine Sie, sondern ein Er, ein Varietékünstler. Es sind die Bilder des neue Spots für eine Cola der Firma Bionade.
So weit, so unspektakulär. Doch zu jedem Spot gehört auch ein Claim, und mit dem gewinnt diese Geschichte an Fahrt: „Das Schöne an künstlichen Zusätzen – man kann sie auch weglassen!“ Diese Analogie gilt es, auf ihre Aussage abzuklopfen: Hat der Spot gerade wirklich behauptet, dass „richtige“ Männlichkeit ganz ohne Fummel auskommt, dass sich verkappte Frauen einfach mal wieder ein ordentliches Muscle-Shirt, Cowboy-Stiefel und eine Bionade-Cola gönnen sollten, da künstliche Zusätze scheiße sind? Ja, hat er. Der Spot ist eine Reinwaschung, ein Ablegen von allem „Weibischen“.
Das Ausziehen ist Entsorgen. Dass Bionade beteuert, es gehe ausschließlich um einen Varietékünstler und um dessen Auftritt – das mag schon sein; doch das fertige Werk suggeriert dennoch etwas anderes. Die Reaktionen darauf sind so harsch und gehäuft, dass Bionade zurückrudert: „Wir werten nicht, warum sollten wir auch?“ Man liebe die Welt, „so wie sie ist: bunt, offen, und vielfältig mit all ihren Facetten“. Doch die Realität hat wenig mit der blumigen Welt des Marketing zu tun.
Da hilft es auch nicht, wenn Bionade beteuert, die Marke wisse, wo sie herkomme, und etwas von alternativen Kulturen faselt. Das Bewusstsein für solche Milieus ist abhandengekommen. Da bleibt als Handlungsempfehlung nur ein weiterer Bionade-Slogan: „Anders erfrischt besser“. Außer Coca-Cola natürlich.
CHRISTIAN FLEIGE
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