Eine Krawallschachtel mit Stil

Die drohende Schließung der Komödie am Kurfürstendamm zeugt vom Niedergang Westberlins. Dabei leitet gerade Katharina Thalbachs bestrickende Oscar-Wilde-Adaption „Ernst und seine tiefere Bedeutung“ eine neue Zeit für das Boulevardtheater ein

VON HEIKE RUNGE

Ein ziemlich bewegtes Wochenende hat das Theater am Kurfürstendamm da hinter sich gebracht. Lange Zeit hatte man das Haus lediglich als bizarres Paralleluniversum innerhalb der Kulturlandschaft Berlins wahrgenommen. Vor allem vom Ruhm längst verblichener Boulevardlegenden schien es zu zehren, praktisch alle Ikonen der Frontstadtzeit waren hier zu besichtigen: Harald Juhnke, Günter Pfitzmann, Brigitte Mira, Wolfgang Gruner. Über diese letzte Bastion Westberliner Insulaner-Spießigkeit ist nun die Globalisierung in Gestalt der DB Real Estate hereingebrochen. Seit die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank den Mietvertrag beendet und den Neubau einer Shoppingmall angekündet hat, formiert sich eine Rebellenfront aus Springer-Presse, Promis und Politik, um für den Erhalt von Theater und Komödie am Kurfürstendamm zu kämpfen.

Samstagabend, Voraufführung des Oscar-Wilde-Dauerbrenners „Ernst und seine tiefere Bedeutung“. Regie und Hauptrolle: Katharina Thalbach. Alles ist hier genauso, wie man sich das vorstellt. Geduldig wartet das Stammpublikum auf Einlass. Natürlich wissen die meisten, dass die Bühne akut von der Schließung bedroht ist. Protestaktionen gehören jedoch nicht zum Repertoire der vorwiegend älteren Fangemeinde aus einheimischem Mittelstand und westdeutscher Provinz. Es ist ein Publikum, das in die Deutsche Oper oder zu Dia-Vorträgen in die Urania geht und sich ansonsten nicht um Kulturpolitik schert.

Man sieht ein paar Leute mit Krücken. Eine alte Dame sagt, dass sie ohnehin kein Wort versteht, trotz Schwerhörigkeit aber gern in dies Theater geht. Das ist vielleicht auch das leicht Bittere an der ganzen Sache – dass hier ein Theater-Biotop verschwindet, in dem sich Leute tummeln, für die ganz bestimmt niemand mehr ein neues Haus bauen wird. „Vielleicht müssen wir doch noch auf die Straße gehen“, sagt die Mitarbeiterin, die die Programmhefte verteilt.

Das Protestieren übernimmt tags darauf die von Bürgermeister Klaus Wowereit angeführte Koalition aus Campino, Desirée Nick und anderen. Am Sonntagabend gibt es Medienrummel unter dem berühmten roten Baldachin, für dessen Genehmigung das Theater jahrelang mit der Bauaufsicht hatte verhandeln müssen. Ein Streit um Peanuts, verglichen mit dem, was auf Theaterleiter Martin Woelffer demnächst bei Sitzungen mit der Fondsgesellschaft zukommt. Dass sich Nick oder Campino für den Fortbestand des Theaters einsetzen, deutet zugleich an, in welche Richtung die Komödie marschieren könnte: Jünger, comedyartiger soll es werden.

Ganz unvorbereitet scheint der Modernisierungsschock das Haus ja nun auch wieder nicht zu treffen. Zuletzt hat Woelffer schon so etwas wie eine Auffrischung des Spielplans versucht. Mit „Männerhort“ von Kristof Magnusson, der 2005 beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt antrat, wurde zuletzt eine Gegenwartskomödie auf den ansonsten von abgehangenen Boulevardklassikern dominierten Spielplan gesetzt. Und mit Boris Pastewka und Rainer Maria Herbst konnten zwei Comedy-Stars engagiert werden, die auch ein jüngeres Publikum erreichen.

Auch mit der Verpflichtung von Katharina Thalbach wird etwas Neues gewagt und eine echte Bühnenlegende für den Boulevard gewonnen. Das Stück von Oscar Wilde ist zwar hundertfach inszeniert und ausgepresst worden wie eine Zitrone. Mal wurde die Verwechslungsklamotte als Tuntenballett mit männlich besetzten Frauenrollen, mal als misanthropisches Lehrstück gedeutet. Katharina Thalbach aber macht mitreißendes Schauspieler-Theater daraus und verlässt sich vor allem auf die elegante Boshaftigkeit der Dialoge in der gelungenen Neuübersetzung des Titanic-Autors Bernd Eilert.

Je mehr die Inszenierung aufdreht – mit Slapstick-, Musical-, Strip-Einlagen –, desto besser wird sie. Mit rothaariger Perücke, gigantischem Federhut (Elsternnest inklusive) und wehenden Röcken ist Thalbach in der Rolle der Krawall schlagenden Lady Bracknell die absolute Queen des Abends. Mit dieser genialen Figur der alten lauten Vettel ist ihr auch etwas ganz Besonderes gelungen, etwas, wofür man sonst die Fassbinder-Schauspielerin und „Drei Damen vom Grill“-Ikone Brigitte Mira immer bewundern musste: ein über alle Gattungsgrenzen und Schubladen triumphierendes Spiel. Egal also, wie es im Immobilienstreit ausgeht, ob die Komödie umziehen muss oder bleiben kann – die bleierne Post-Juhnke-Ära scheint endgültig vorüber zu sein.