fahren sie nicht zu mir von JÜRGEN ROTH
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In der Samstagsbeilage der Frankfurter Rundschau gab es bis vor zweieinhalb Jahren eine sehr schöne Rubrik des Titels „Fahren Sie bloß nicht nach …“ Da konnte man, weil einem der zuständige Redakteur den Rücken frei- und er seinen eigenen bei der Chefredaktion hinhielt, endlich mal die Wahrheit sagen – über Trier und seine Bewohner zum Beispiel, die versoffener sind als die Russen und die Belgier zusammen, oder über Mannheim, das trotz aller Kotzwürdigkeit in Form und Geist eine ausgesprochen lobenswerte, weil an zwei, vier Ecken erstaunlich ansehnliche Stadt ist.

Die Rubrik wurde eingestellt, nachdem die Redaktion eine stattliche Zahl origineller Leserbriefe erreicht hatte, die durchweg mit dem originellen Satz schlossen: „Hiermit kündige ich mein Abo.“ Seither ist es auch anderen exquisiten (Autoren-)Rubriken der Frankfurter Rundschau an den Kragen gegangen, und man mag sich gar nicht ausmalen, was die jüngst installierte Geschäftsführung möglicherweise noch ausrichten wird.

Die Zeiten für Stadtkritik sind also schlecht, und da es keine Zeitung wagt, eine fallen gelassene gute Idee der Konkurrenz aufzugreifen, dürfte es angebracht sein, von der Stadtkritik auf die Wohnungskritik umzusatteln. Man muss ja gucken, wo man bleibt. Und so fasste ich bereits vor zweieinhalb Jahren den kaum herausragend zu nennenden Plan, einen Artikel mit der Überschrift „Fahren Sie bloß nicht nach Hause“ beziehungsweise „Fahren Sie bloß nicht zu mir“ zu schreiben.

Die Haustür steht immer offen. Die Klingel funktioniert nicht. Drei Altbaustockwerke schaffen Sie nie und nimmer. Schon auf dem Weg von der S-Bahn bis zu mir lauern hinduistische Zuhälter, altruistische Kinderwagenhändler und altstalinistische Hütchenspieler auf Sie. Wenn Sie das alles nicht schreckt, seien Sie dessen versichert: Bei mir gibt es nichts. Es passiert nichts und wirklich gar nichts. Geboten wird garantiert nothing. Nullo. Niente. Total tote Tumbheit. Bier ist aus.

So sollte der Text beginnen. Zum Glück ist er nie weiter gediehen. Zu fad, nachgerade doof. Eigentlich ein Riesenscheiß. Dann aber begab es sich, dass sich eine ersehnte Liaison anbahnte. Die Dame war so frei, sich für einen Freitagnachmittag anzukündigen. Mit aller gebotenen Sorgfalt und in aller nötigen Eile ordnete ich meine Wohnungsverhältnisse. Ich warf die seit sieben Wochen in der Küche gestapelten Teller aus dem Fenster, behandelte die Kalkstalaktiten im Bad mit Laserstrahlen und sortierte die in der Diele, im Schlafzimmer und im Wohn-/Arbeitsbereich herumlungernden Papierstapel und Flaschenhalden nach dem altfinnischen Alphabet.

Als gegen fünf Uhr das Telefon klingelte und die atemberaubende – ja, es ist wahr: Blondine fragte, ob mir der Brauch bekannt sei, die Wohnungstür zu öffnen, wenn die Glocke töne, fühlte ich mich gerüstet. Zwei Minuten später betrat sie meine Wohnung. Sie stakste, die Lage sondierend, den langen Flur auf und ab, murmelte etwas in der Art von „Alles muss raus – Tipps für Monstermessis“ und sagte dann: „Nee, das tu ich mir nicht an.“ Und ward gesehen.

Alles, was recht ist, aber ich werde meine Wohnung wegschmeißen müssen.