„Wir haben es hier nicht mit nationalen Blöcken zu tun“

FOLKLORE Ist das schon Kunst oder bloß Ethnokitsch? Philippa Ebéné, die Leiterin der Werkstatt der Kulturen, über Volkstänze, Trachten und die Grundlagen antirassistischer Arbeit

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Frau Ebéné, was ist eigentlich der Karneval der Kulturen – ein Ethnospektakel, bei dem Einwanderer in traditionellen Kostümen Volkstänze aufführen? Oder ein antirassistisch-politisches Event?

Philippa Ebéné: Der Karneval wurde vor 18 Jahren erfunden, um denjenigen BerlinerInnen, die ansonsten in der Kulturlandschaft der Stadt nicht vorkommen, eine Plattform, eine Gelegenheit zu geben, sich darzustellen.

Aus dem kleinen Haufen, der 1996 durch Kreuzberg zog, ist mittlerweile eine der wichtigsten Veranstaltungen der Stadt geworden.

Trotzdem ist es nach wie vor so, dass Teile der Berliner Bevölkerung in der Kulturlandschaft nicht vorkommen. Das ist beim Karneval der Kulturen anders. Insofern ist der Karneval natürlich auch eine politische Veranstaltung.

An der kommt durchaus auch Kritik von EinwanderInnen selbst. Die finden es unzeitgemäß und nicht ihrem Selbstbild entsprechend, wenn da Leute in Trachten zu traditioneller Musik durch die Straßen laufen.

Es gibt beim Karneval Gruppen, die traditionelle Musik vorstellen und in traditionellen Kostümen auftreten. Daneben gibt es auch viele, die einen eher künstlerischen Anspruch haben.

Beides passt in das Konzept?

Natürlich. Es geht ja nicht um Herkunftspflege. Aber es geht um Verortung von Identität. Menschen haben das Bedürfnis, sich mit den Anliegen zu zeigen, die sie haben – in der Weise, in der sie das möchten. Die Zahl der Gruppen, die sich bemühen, ihre Themen mittels Karnevalskunst auf die Straße zu bringen, wächst seit Jahren.

Gibt es dabei eigentlich Regeln, was geht und was nicht?

Keine Missionierung, kein Aufruf zu Gewalt, keine Werbeplattform für kommerzielle Unternehmen und keine politischen Parteien. Ansonsten dürfen die Gruppen jede Botschaft transportieren, die sie wollen, selbstverständlich auch politische. Aber auch die müssen sie künstlerisch umsetzen, das ist Bedingung.

Hat die Art und Weise, wie sich Gruppen darstellen und welche Rolle Folklore dabei spielt, etwas damit zu tun, wie etabliert die Community in der Mehrheitsgesellschaft bereits ist?

Die Gruppen, die sich am Umzug beteiligen, tun das ja nicht im offiziellen Auftrag einer nationalen, kulturellen oder ethnischen Community. Das würde auch viel zu kurz greifen. Denn es gibt hier doch längst massenhaft BerlinerInnen, die Eltern oder Großeltern mit ganz verschiedenen nationalen und kulturellen Herkunftsbezügen haben. Allein in meiner engsten Umgebung gibt es sehr viele transnationale und transkulturelle Biografien. Die Vorstellung, dass BerlinerInnen mit Einwanderungsgeschichte alle in abgeschlossenen ethnischen Communitys leben, hat mit der Wirklichkeit einer Metropole nichts zu tun.

Sondern?

In der Gruppe, die kubanische Tänze zeigt, laufen längst ganz viele Leute mit, die keine kubanischen, sondern andere vielfältige Wurzeln haben. Dasselbe gilt für die großen Sambaschulen. Wir haben es hier nicht mit nationalen oder ethnisch-kulturellen Blöcken zu tun, sondern es geht darum, Berlin zu zeigen – eben auch gerade darin, wie verflochten hier längst alles und alle miteinander sind. Das macht den Karneval ja auch so speziell.

Inwiefern?

Ich habe vor Kurzem mit jemandem gesprochen, der mit dem brasilianischen Karneval großgeworden ist. Der sagt, man könne den Karneval der Kulturen mit nichts vergleichen, was man aus anderen Karnevalstraditionen kennt – weil die künstlerische und kulturelle Vielfalt hier viel größer sei.

Mittlerweile zieht der Karneval Hunderttausende an – darunter natürlich auch Menschen, denen zwar der bunte Umzug gefällt, die die multikulturelle Vielfalt im Alltag aber nur bedingt schätzen: Wenn der Türke leckeren Döner macht, ist er okay, aber sonst …

Die Vorstellung, dass Einwanderer sich in bestimmter Weise verhalten müssen, um hier sein zu dürfen, hat mit dem Karneval nichts zu tun. Das erleben wir in Deutschland aber leider überall.

Einzelne Karnevalsgruppen positionieren sich in ihren Auftritten deutlich gegen Rassismus. Der Karneval selbst als Veranstaltung tut das eigentlich nicht. Warum?

Wir sehen unsere Aufgabe darin, Räume zu schaffen. Alle Veranstaltungen der Werkstatt der Kulturen fungieren als Plattform für Leute, die das transkulturelle Berlin zeigen. Die zeigen, welche Entwicklungen es durch Migration gibt, dass durch Kulturkontakt Austausch und Neues entsteht. Indem wir diese Räume schaffen und Akteuren die Möglichkeit geben, sich zu äußern, machen wir auch antirassistische Arbeit.