Im Kirschblütenregen

Rob Marshalls Literaturadaption „Die Geisha“ erfüllt alle Voraussetzungen für großen Camp, ist aber doch nur panasiatischer Quark. Dank seiner Schauspielerinnen sieht er gleichwohl fantastisch aus

von ANDREAS BUSCHE

Im Alter von neun Jahren werden Chiyo und ihre ältere Schwester, Töchter eines ärmlichen Fischers und seiner todkranken Frau, in einer nächtlichen Transaktion von ihrem Vater verkauft. Die See ist aufgewühlt, als kündeten die Naturgewalten bereits von der bevorstehenden menschlichen Tragödie. Der Menschenhändler verkauft Chiyo an einen Okiya, einen Geisha-Haushalt, in Kioto. Es sind seine strahlend graublauen Augen, die das Mädchen vor dem Schicksal ihrer Schwester bewahren. Die nämlich muss sich im Hanamachi gion, dem Geisha-Viertel Kiotos, mit niederer Arbeit verdingen, bis sie flieht und damit aus dem Film verschwindet.

Als ihre Eltern sterben, bleibt Chiyo der Okiya als einziger emotionaler Rückhalt. Derart in die Welt geworfen, gerät sie zwischen die Fronten: Auf der einen Seite steht die missgünstige Hatsumomo (Gong Li), die Haupt-Geisha des Okiya, auf der anderen Mameha (Michelle Yeoh), die Grand Dame im Hanamachi. Mameha nimmt sich schließlich der heranwachsenden Chiyo, die nun von Zhang Ziyi dargestellt wird, an, um das junge Mädchen in die Geisha-Kunst einzuführen.

Rob Marshalls „Die Geisha“, eine Filmadaption von Arthur Goldens Bestseller „Memoirs of a Geisha“, erfüllt alle Voraussetzungen für großen Camp: eine hysterische, opulente und politisch höchst unkorrekte Variante von „Vom Winde verweht“, gemischt mit „Showgirls“, dargeboten von den drei größten weiblichen Stars des asiatischen Kinos. Edle Gesten und Gemüter bespielen in „Die Geisha“ die Gefühlsklaviatur. Die schweratmigen Tableaus ersticken beinahe die Grazie des Stoffes.

Goldens Romanvorlage erreichte Ende der Neunziger hunderttausende amerikanische Haushalte als penibel recherchierter, authentisch gefühlter Erlebnisbericht über eine Tradition, die westlichen Betrachtern bis heute suspekt geblieben ist. Der Harvard-Absolvent Golden hat sich während seines Studiums eingehend mit japanischer Geschichte und Kunst befasst. „Geishas“, erklärt Mameha dann auch Chiyo, „sind weder Kurtisanen noch Ehefrauen. Wir verkaufen unsere Fähigkeiten, nicht unsere Körper. Wir schaffen eine andere, geheime Welt. Eine Geisha muss als ein lebendiges Kunstwerk verstanden werden.“

Doch Marshalls Interesse an der Geisha-Etikette ist mäßig, sofern sie nicht optisch – also im Hinblick auf Kostüme, Tanz und Kirschblütenregen – etwas hergibt. Dem Film haftet Marshalls Broadway-Erfahrung noch merklich an. „Die Geisha“ sieht aus, wie sich Joe Blöd japanische Traditionskultur vorstellt. „Bei euch [gemeint sind die Japaner] ist alles ein Ritual“, sagt ein GI höflich zu Chiyo, als sie ihm Sake einschenkt. Marshall schlachtet diese kulturelle Vorstellung weidlich aus. Die Damen beim Schminken, beim Shamisen-Spiel, beim Tanz, beim Konversation-Pflegen, als Gäste eines Sumo-Wettkampfes. Servilität als höchste Form weiblicher Kultiviertheit. Nur Sex ist tabu bzw. bleibt dem Höchstbietenden vorbehalten. „Wenn es einen Preis für das, worum Sie bitten, gäbe“, weist Chiyo einen aufdringlichen Verehrer ab, „könnten Sie ihn sich nicht leisten.“

Mit dem „There is no business like show business“-Chuzpe wirkt „Die Geisha“ wie ein pompöser Aufwasch von „Chicago“. Leider geht dem Film die ironische Distanz von Marshalls Debütfilm völlig ab; die Theatralik des Geisha-Stoffes wird nie gebrochen. Zugegeben, Zhang Ziyi, Michelle Yeoh und Gong Li sind schier atemberaubend, sie hauchen ihren Figuren mehr Lebendigkeit ein, als Marshalls Inszenierung ihnen zugestehen mag. Aber der Film kann die Enge der Bühne nie überwinden, selbst wenn der Blick einmal in die Ferne schweift.

Gleichfalls zieht Marshall keinen Vorteil aus der Hermetik seiner Inszenierung. Über die soziale Stellung der Geisha im modernen Japan und das Leben im Okiya erfährt man fast nichts. Die ausbeuterische Natur der Geisha-Tradition, die Film wie Buch vehement leugnen, kommt in „Die Geisha“ nur am Rande zum Vorschein, wenn nach dem Endes des Zweiten Weltkriegs viele der Frauen in die offene Prostitution gezwungen werden. Angesichts dieser eklatanten Schwächen gerät die bereits im Vorfeld zirkulierende Kritik an „Die Geisha“ beinahe zur Nebensache. Moniert wurde unter anderem, dass chinesische bzw. malaiische Schauspielerinnen Japanerinnen verkörpern oder dass die Traditionen und die Musik nicht akkurat wiedergegeben werden. Doch von einem so streng kalkulierten Unterhaltungsprodukt der größten westlichen Filmindustrie lässt sich nichts anderes erwarten als das, was Marshall dem Zuschauer bietet: panasiatischen Quark, der die alten Vorurteile und Klischees nur erneut bekräftigt.

Die anhaltende Kritik kann Marshall zu Recht nicht berühren. Es ist geradezu absurd, einen Film, der derart hemmungslos seine eigene Künstlichkeit ausstellt, aufgrund von Authentizitätsdefiziten zu belangen (dass nationale Befindlichkeiten nicht trotzdem verletzt werden können, soll hier gar nicht bestritten werden). „Die Geisha“ ist ein Film für Menschen, die dreimal im Jahr ins Kino gehen und dabei möglichst risikolos unterhalten werden wollen – also genau die Klientel, auf die Hollywood seine Filme in den letzten Jahren mehr und mehr zuschneidet. In seiner reinen Nutzwertigkeit steht Marshalls Film damit Goldens Gebrauchsprosa in nichts nach.

„Die Geisha“. Regie: Ron Marshall. Mit Zhang Ziyi, Michelle Yeoh, Gong Li u. a. USA 2006, 145 Min.