Im Boot zur Seemacht

ANALYSE Diese Woche wurde das Unterseeboot „U36“ getauft. Die Marine rüstet für weltweite Einsätze auf. Kritiker befürchten eine Kanonenbootpolitik

VON HERMANNUS PFEIFFER

„Täufling“ nennt Thyssen-Krupp-Manager Andreas Burmester den gedrungenen Koloss scherzhaft. Dabei überragt das neue Hochtechnologie-Unterseeboot für die Deutsche Marine die Ehrentribüne haushoch. Etwa 400 Feiergäste hatte ThyssenKrupp zur Schiffstaufe an diesem Mittwoch auf seine Kieler Traditionswerft eingeladen. Der schwarz-rot-gold geschmückte graue Rumpf ähnelt einem Wal – nur ist „U36“ dreimal so lang. Doch im Einsatz soll das „Boot“ trotz seiner imposanten Ausmaße quasi unsichtbar bleiben.

„U36“ ist für den Vater des Täuflings, Admiral und Marine-Inspekteur Axel Schimpf, „das Maß aller Dinge“. Experten sprechen vom „modernsten nichtnuklearen U-Boot der Welt“ – besser als alle 170 U-Boote, die Weltmarktführer ThyssenKrupp seit 1960 für fast zwei Dutzend Marinen unter anderem aus Ägypten, Bangladesch und Israel gebaut hat: „U36“ kann wochenlang tauchen, hat eine Ausstiegsschleuse für Spezialkommandos und wird dank seiner „Tropikalisierung“ selbst im feuchtheißen Tropenklima kühl operieren.

Nach der Feinabstimmung durch zwei 28-köpfige Besatzungen soll „U36“ und ein weiteres U-Boot im kommenden Jahr einsatzbereit sein. Damit wäre das neue Waffensystem mit sechs Schiffen der ThyssenKrupp-Klasse „212 A“ vollzählig. Und startklar, so Admiral Schimpf, für den weltweiten Einsatz. Zwar wird die Bundeswehr insgesamt personell verkleinert, aber qualitativ wird sie aufgerüstet. Und gegenüber Heer und Luftwaffe gewinnt die Marine durch den Reformprozess intern sogar an Gewicht: „Die Deutsche Marine“, so der zuständige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Kossendey, „wird in Zukunft absehbar stärker gefordert sein als bisher.“

Dafür wird es weniger, aber schlagkräftigere Waffensysteme wie Flugkörper und Drohnen an die Hand geben, die aus Torpedoschächten unter Wasser starten, sowie Hochtechnologie-Überwasserschiffe: Die gerade in Dienst gestellten fünf Korvetten „K130“, die erstmals seit 1945 wieder Landziele beschießen können, und im Herbst die erste von vier Marathon-Fregatten, die zwei Jahre nonstop im Einsatz vor Ort „stehen“ können, sowie beispiellose Mehrzweckkampfschiffe. Das von Regierung und Bundeswehr erklärte Ziel der Neuausrichtung ist eine „Expeditionary Navy“, eine Marine im Expeditionseinsatz an den Brennpunkten der Welt.

Maritimes Jahrhundert

Als eigentlicher Wendepunkt zur „Marine im Einsatz“ gilt der europäische Antipirateneinsatz „Operation Atalanta“ vor der Küste Ostafrikas: Seit 2008 werden dort die ganzen militärischen Fähigkeiten unter Gefechtsbedingungen eingesetzt. Eine führende Rolle spielt die Deutsche Marine unter anderem in einer der heißesten globalen Konfliktzonen, im östlichen Mittelmeer. Im Rahmen der UN-Mission Unifil wird seit dem Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah-Miliz und Israel 2006 versucht, Waffenschmuggel zu unterbinden und die Seegrenzen nach Syrien durch U-Boote zu kontrollieren.

Begründet wird der Wandel in den aktuellen verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung mit dem Schutz nationaler Interessen wie „freien und ungehinderten Welthandel“ sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu „natürlichen Ressourcen“. Kritiker warnen vor einer Kanonenbootpolitik, wie sie in den Ersten Weltkrieg führte – Befürworter verweisen auf die neuen militärischen Möglichkeiten für eine „robuste“ Außenpolitik und den Parlamentsvorbehalt, der auch für Auslandseinsätze der Marine gelte. Dabei ist Exportvizeweltmeister Deutschland längst Seemacht: Jedes dritte Containerschiff weltweit gehört deutschen Reedern, Investoren und Banken. 90 Prozent des globalen Warenhandels strömt über die Weltmeere. Und diese Waren müssen „Nadelöhre in konflikthaften Regionen“ passieren, warnte kürzlich der frühere Inspekteur und informelle Chefstratege der Marine Lutz Feldt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – wie die Enge von Gibraltar oder die Straße von Malakka, durch welche sich die Im- und Exporte Chinas und Südostasiens hindurchzwängen.

Allein sind die Admiräle Feldt und Schimpf mit ihrer Sicht nicht. Auch die größte Seemacht, die Vereinigten Staaten, sieht im 21. Jahrhundert ein „maritimes Jahrhundert“ und richtet ihre Außen- und Verteidigungspolitik stärker auf den Indischen Ozean und den Pazifik aus. Dort trifft sie nicht nur auf die rasant aufrüstende maritime Mittelmacht China, sondern auch auf wachsende Flotten aus Südkorea, Japan und Australien. Auch im Atlantik wachsen die Risiken – Stichworte: Offshore-Energie oder die Rohstoffe unter der schwindenden Eisdecke des Nordpolarmeeres. Weltweit zählen Juristen etwa 100 territoriale Konflikte auf hoher See. Meistens geht es um kaum bewohnte Inseln, deren rohstoffreiche Wirtschaftszonen 200 Seemeilen (über 350 Kilometer) ins Meer hinausragen. Seine Märkte für Marineschiffe sieht ThyssenKrupp denn auch „positiv“. Es gebe „eine Reihe von aussichtsreichen Projekten“, auch in der Region Asien/Pazifik, heißt es im Lagebericht des Konzerns.

Arbeitsteilung bei der Nato

Dabei will die Deutsche Marine nicht von allem alles haben. Trotz aller Reibungsverluste und teils unterschiedlicher Interessen bildet sich in der Europäischen Union und der Nato eine Art Arbeitsteilung heraus. Dazu gehört auch das vom ThyssenKrupp-Manager Burmester als „Meisterstück deutscher Ingenieurkunst“ überschwänglich gelobte „U36“. Wie unsichtbar die neuen U-Boote der Deutschen Marine sind, demonstrierte in diesen Tagen die ältere Schwester „U32“ während einer gemeinsamen Übung mit einer US-amerikanischen Flotte: Ein Atom-U-Boot rauschte ahnungslos an dem deutschen „Hai“ vorbei und wäre im Ernstfall gefressen worden.

■  Hermanus Pfeiffer ist Autor des Buches „Seemacht Deutschland – Die Hanse, Kaiser Wilhelm II. und der neue Maritime Komplex“, Ch. Links Verlag, Berlin