via roma, ecke vietata l’affisione von WIGLAF DROSTE
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Der Himmel über Palermo gab alles, was man an Blau verlangen kann – und damit Anlass, das schöne Lied „O Himmel strahlende Rasur“ anzustimmen, das mir als Kind so gut gefiel, bis man mich säuerlich darauf hinwies, dass es „O Himmel strahlender Azur“ heiße. Das sagte mir aber nichts, und die strahlende Rasur gefällt mir bis heute viel besser. Missverständnisse sind lustiger, geheimnisvoller und magischer als das so genannte Richtige, das man eingebläut bekommt, damit man sich nicht seinen eigenen Reim auf die Welt macht.

In fremden Sprachen fallen die Schnitzer um vieles leichter – und häufig umso schwerer ins Gewicht. Nachdem man bei einer kleinen Runde durch Palermo das Wort „Orologeria“ auffallend häufig und auffallend groß angezeigt sah, wundert man sich doch ein bisschen, warum es gerade hier so überdurchschnittlich viele Urologen gibt. Wenn die Urologen auch noch Uhren verkauften, käme es sogar hin.

Tückisch auch ist in lateinischen Ländern das Schlingern zwischen den verschiedenen romanischen Sprachen, die einem eher rudimentär-speisekartenhaft vertraut sind. Nicht selten hört man ein freundlich gemeintes „Molto gracias“, und beim Betrachten des Post- und Telegrafenamtes in Palermo, einem Bau in schauderhaft naziartig hingeprotztem Neoklassizismus, empört sich der humanistisch gebildete Reisende, dieser „blöde Klotz“ sei doch „hundertprozentig unter Franco“ gebaut worden, „aber hundertprozentig!“. Es dauert ein bisschen, bis der Schäumende in einen Schämenden sich wandelt und vergegenwärtigt, wo er gerade unterwegs ist.

Aufregend ist es, Verabredungen in der Landessprache zu treffen. Am Abend um acht an derselben Ecke? Wunderbar. Zur Sicherheit schrieb ich mir die Straßennamen auf, Via Roma und Vietata l’Affisione, und beackerte ein paar Stunden weiter das Pflaster. In der Cattedrale besuchte ich das Grab Friedrichs, der so klug war, Deutschland von Sizilien aus zu regieren, hielt vergeblich Ausschau nach eleganten Betonschuhen, die ich daheim gern en gros verschenkt hätte, rettete im Botanischen Garten einem handtellergroßen Kaninchen das Leben, indem ich eine schöne, große, schwarze Katze davon überzeugte, dass „das Recht des Stärkeren“ eine primitive, schäbige, historisch erledigte und ihrer also ganz unwürdige Zwangsvorstellung sei, kehrte ins Hotel zurück, gönnte mir eine himmelstrahlende Rasur und machte mich auf den Weg zu meinem Stelldichein.

Über all dem Flanieren hatte ich den Ort des Treffens vergessen – egal, ich hatte ja die Adresse. Die Via Roma in Palermo ist sehr, sehr lang – wo fand ich die Vietata l’Affisione? Im Stadtplan war sie nicht aufzutreiben. Ich rakte meinen Mut und mein profundes Pidgin-Italienisch zusammen und bat Passanten um Auskunft. Vietata l’Affisione? Sie sahen mich ungläubig an. Ein älterer, höflicher Herr klärte mich auf. Vietata l’Affisione steht an vielen Straßenecken und heißt: Plakatieren verboten. Eine Straße dieses Namens gibt es in Palermo also ziemlich häufig, aber man kann ja auch einmal alleine zu Abend essen und aus dem Langenscheidt bestellen: „Alla nonna piacciono i licori dolci“ – alle Nonnen sind friedlich, wenn man sie mit Likör erdolcht.