Bundestag gibt EU-Parlament einen Korb

Präsidenten von drei Volksvertretungen lehnen es ab, mit Europaparlamentariern über Verfassung zu diskutieren

BRÜSSEL taz ■ Johannes Voggenhuber sieht dieser Tage aus wie ein Mann, den die Beschäftigung mit Europa krank gemacht hat. Der 55-jährige Österreicher sitzt seit zehn Jahren für die Grünen im Straßburger Parlament, im Verfassungskonvent setzte er sich leidenschaftlich für mehr Demokratie und Bürgernähe in der EU ein.

Inzwischen steht er mit seinen kühnen Plänen ziemlich allein. Zwar stimmte das Europaparlament gestern dafür, die Debatte darüber, wie es mit der Verfassung weitergehen soll, neu zu beleben. Doch Voggenhubers Vorschlag, deren soziale Dimension zu stärken und dann europaweit die Bürger über den Text abstimmen zu lassen, wurde abgelehnt. Die meisten Abgeordneten halten sich an die Linie von EU-Kommissarin Margot Wallström: Nicht der Text wird geändert, sondern der Kontext. Sie ist in der Kommission dafür zuständig, den Menschen Europa wieder schmackhaft zu machen.

Für Voggenhuber ist es besonders bitter, dass ausgerechnet er den Volkszorn zu spüren bekommt, den eigentlich die Regierungschefs und die Bürokraten in Brüssel auf sich geladen haben. Als er am Dienstag in Straßburg ankam, waren die Scheiben, die wütende Hafenarbeiter tags zuvor aus Protest gegen die Hafenrichtlinie zerschmissen hatten, noch nicht repariert. Viel härter aber traf ihn ein Brief, der bei Parlamentspräsident Borell eingetroffen war.

Unterschrieben hatten die Präsidenten der deutschen, der finnischen und der österreichischen Abgeordnetenkammer. Sie lehnen den Vorschlag des EU-Parlaments ab, in gemeinsamen parlamentarischen Versammlungen den Verfassungsprozess neu zu beleben. „Da dreizehn Länder den Verfassungsvertrag bereits ratifiziert haben, zwölf aber nicht, haben die nationalen Parlamente sehr unterschiedliche Haltungen zur Debatte über die Zukunft Europas. […] Außerdem haben nationale Parlamente nicht die Mittel, sich in einen so breit geführten und langen Prozess einzubringen. Sie würden aber auch nicht gern lediglich als Anhängsel des Europäischen Parlaments wahrgenommen werden“, schreiben Norbert Lammert und seine Kollegen.

Für Voggenhuber ist der Brief ein Schlag in die Magengrube. „Überall schreien die nationalen Parlamente nach Beteiligung, nach mehr Subsidiarität. Sie wollen sogar, dass die entsprechenden Passagen der Verfassung vorzeitig in Kraft gesetzt werden“, schimpft der Abgeordnete. Besonders erbittert ihn, dass die Parlamentspräsidenten den Brief ohne Wissen ihrer Abgeordneten abschickten. „Die Botschaft ist: Überlasst den Verfassungsprozess den Regierungen“, resümiert Voggenhuber.

Die Wut der Menschen wird dadurch natürlich nicht kleiner. Mehrere Abgeordnete haben eine Bannmeile rund ums Parlamentsgebäude in Straßburg gefordert, um Europa vor seinen Bürgern zu schützen. Und das aus gutem Grund: Im Februar wird eine Demonstration gegen die Dienstleistungsrichtlinie erwartet. DANIELA WEINGÄRTNER