„Demokratie braucht Zeit“

DISKUSSION Hektische Entscheidungen entmachten das Volk, findet die „Gesellschaft für Zeitpolitik“

■ 68, Professor für Arbeits- und Sozialrecht, heute „Forschungsprofessor“ im Projekt „Staatlichkeit im Wandel“ und Leiter der „Gesellschaft für Zeitpolitik“ e. V.

taz: Viele Menschen beklagen eine zunehmende Hektik des Lebens. Was kann Zeitpolitik dagegen ausrichten?

Ulrich Mückenberger: Zeitpolitik kann nicht die Welt geruhsamer und die Politik entscheidungsfähiger machen. Aber es gibt Probleme, bei denen Zeit eingesetzt werden muss, um wichtige Grundsatzentscheidungen wohlüberlegt und gut legitimiert treffen zu können.

Bei wichtigen politischen Konfliktfeldern wie der Euro-Krise oder zum Beispiel beim Bürgerkrieg in Syrien kommt in der medialen Beobachtung oft eine Kritik gerade darin zum Ausdruck, dass vor klaren Entscheidungen zu lange abgewartet wird, dass Politik also entscheidungsunfähig erscheint …

Die Öffentlichkeit und die Medien, aber auch die Finanzmärkte wollen oft schnelle und verlässliche Entscheidungen. Aber es kommt manchmal nicht auf die Schnelligkeit, sondern auf die Abgewogenheit und Legitimation an. Demokratie braucht manchmal Zeit, und Zeitdruck kann undemokratische Verfahren begünstigen.

Gerade bei parlamentarischen demokratischen Verfahren ist das Problem, dass die Diskussion medial stattgefunden hat und die Parlamentssitzung sechs Wochen zu spät kommt.

Der Beschleunigungsdruck bringt zahlreiche Machtverschiebungen mit sich, Verlagerungen weg von den Parlamenten hin zu den Medien – und zu der Exekutive und den Agenten der Finanzmärkte. Gerade internationale Entscheidungen werden oft von übernächtigten Regierungsoberhäuptern gefasst, also der Exekutive. Das geht zu Lasten des Souveräns, des Volkes. Wir diskutieren im Rahmen der Zeitpolitik, wie Zeiträume für unmittelbare Beteiligungsverfahren geschaffen werden.

Entmachten solche Beteiligungsverfahren nicht das Parlament?

Wir freuen uns, dass Christian Weber unser Gastgeber ist, und unsere Ideen kommentieren will. Wir wollen einen „großen Ratschlag“ für Fragen vorschlagen, die politische Weichenstellungen bedeuten. Das Parlament soll nach unserem Modell diesen „Ratschlag“ beschließen und seine Ergebnisse beraten.

Beraten klingt aber recht unverbindlich.

Wenn das Parlament sich darüber hinwegsetzen will, würde das nur nach einer Volksabstimmung möglich sein. Das ist unser Vorschlag.  INTERVIEW: KAWE

19.30 Uhr, Haus der Bremer Bürgerschaft