Chicken-Nuggets außer Kontrolle

Verbraucherschützer fordern mehr Kontrollen bei der Einfuhr von Lebensmitteln. Nur so werde verhindert, dass importierte Ware in den Handel komme, die etwa mit Krebsgiften belastet ist. Minister Seehofer verspricht Besserung, doch ist kein Geld da

VON HANNA GERSMANN

„Fleisch essen kommt aus der Mode“, sagt Hilmar Steppart. Der Mann vom Vegetarierbund hat auch Zahlen parat. 8 Prozent der Deutschen, so erklärt er, verzichteten bereits auf Schnitzel und Roulade. Und jede Woche kämen 3.000 hinzu. Die Verbraucher seien wegen der Fleischskandale im letzten Jahr verunsichert.

Zur Erinnerung: Die Handelskette Real etikettierte zum Beispiel überlagertes Hack um, und eine Firma aus dem bayerischen Deggendorf verkaufte Schlachtabfälle als Leberwurst. Die Machenschaften fielen den Lebensmittelprüfern viel zu lange nicht auf. Das staatliche Kontrollsystem erwies sich als lückenhaft.

Offenbar beschränken sich die Mängel jedoch nicht auf die Fleischtheke. Die Lebensmittelüberwachung sei löchriger als bislang angenommen, warnten gestern Verbraucherschützer auf der weltgrößten Messe der Ernährungswirtschaft, der Grünen Woche in Berlin.

Die Chefin des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Edda Müller, sagte: „Vor allem die importierten Waren werden nicht richtig geprüft.“ Zwar fielen mal Shrimps aus Südostasien auf, die mit Antibiotika belastet seien. Und mal würden krebserregende Farbstoffe in Chili-Pulver aus Indien entdeckt. Doch meistens kämen die Warnungen zu spät und die Produkte seien schon auf dem Markt. Die Schadstoffe müssten früher analysiert werden – „bei der Einfuhr an der Grenze.“

Deutschland ist weltweit mittlerweile der zweitgrößte Agrarimporteur, nach den USA. So deckt die Bundesrepublik 7 Prozent ihres Bedarfs an Hühnerkeulen und Chicken-Nuggets über Importe aus Brasilien. Wenn das Fleisch per Containerschiff im Hamburger Hafen ankommt, muss dort theoretisch seine Frische geprüft werden. Doch passiert das nach Recherchen der Verbraucherschützer nicht immer. Und für Orangen oder Tomaten sind routinemäßige Kontrollen erst gar nicht vorgeschrieben.

Auch das europäische Lebensmittel- und Veterinäramt kritisiert diese Praxis. Die EU-Beamten inspizieren die nationalen Kontrollen regelmäßig. Deutschland schneidet dabei schlecht ab. In den Niederlanden werden Obst und Gemüse zum Beispiel auf dreimal so viel Ackergifte hin untersucht wie hierzulande. Zudem können schon mal sechs Monate vergehen, bis die Laborergebnisse vorliegen.

Ohnehin hängt es vom Bundesland ab, wie stark kontrolliert wird. In Brandenburg bekamen 2004 fast 90 Prozent aller Lebensmittelhersteller Besuch von einem Kontrolleur. Derweil mussten sich in Thüringen nur 6 Prozent einem kritischen Blick unterziehen.

So beklagte auch der CSU-Verbraucherminister Horst Seehofer, Parkplätze seien hierzulande besser überwacht als Lebensmittel. Er will deshalb ein Zehn-Punkte-Programm auf den Weg bringen, das bessere Kontrollen garantieren soll. Die Bundesländer sind für das Personal und die Laborausstattung zuständig – und verweisen auf leere Kassen.