Kompetenzen koordinieren

„Interdisziplinäre Frühförderstellen“ für behinderte Kinder: Ärzte, Therapeuten und Pädagogen sollen dort zusammenarbeiten und einen auf individuelle Bedürfnisse abgestimmten Förderplan erarbeiten

von Julia Sorge

Laura ist vier Jahre alt. Und seit fast vier Jahren bekommt sie jede Woche für zwei Stunden Besuch zu Hause. Eine Pädagogin zeigt ihr, wie sie besser hören, schmecken und fühlen kann, noch besser als die anderen Kinder. „Pädagogische Förderung“ heißt dies genau, denn Laura ist von Geburt an blind. Sie lernt bei ihrer Blindenpädagogin in der Frühförderung, wie sie ihr fehlendes Sehvermögen durch Verschärfung der anderen Sinne ersetzen kann.

Mit diesem Angebot erhalten behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder von der Geburt bis zur Einschulung Hilfe – mitsamt ihren Familien. Hamburg ist nun dabei, die Frühförderung neu zu strukturieren. Mit dem neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) von 2001 und der Frühförderungsverordnung 2003 wurde auf Bundesebene schon vor längerer Zeit gefordert, die Maßnahme als „Komplexleistung in interdisziplinären Frühförderstellen und Sozialpädiatrischen Zentren“, so die offizielle Bezeichnung, anzubieten.

Frei übersetzt heißt das: zentrale Anlaufstellen, die eine Art Rundumbetreuung für behinderte Kinder anbieten. Ärzte, Therapeuten und Pädagogen sollen in diesen Stellen zusammenarbeiten und einen auf individuelle Bedürfnisse abgestimmten Förderplan erarbeiten. Denn bisher, so die Kritik, liefen heilpädagogische und medizinisch-therapeutische Leistungen oft unkoordiniert nebeneinander her.

Sieben Frühförderstellen gibt es derzeit in Hamburg. Einige von ihnen sind auf spezielle Behinderungen ausgerichtet, wie etwa auf Sehbehinderungen oder Autismus. Aber nicht alle werden die künftig geforderten „Komplexleistungen“ erbringen können. Für einige wäre es zu teuer, ein interdisziplinäres Team einzustellen, andere wollen zusätzliche Arbeitsgebiete nicht zugunsten einer Schwerpunktsetzung auf Frühförderung vernachlässigen.

Diplompädagogin Wiebke Gericke von der Frühförderstelle „SprachSignal“ findet es gut, wenn künftig Kompetenzen koordiniert werden könnten. Sie betreut etwa 25 hörende Kinder gehörloser Eltern. Ein interdisziplinäres Angebot wird sie jedoch nicht machen, dafür ist sie zu spezialisiert. Und zu bekannt: „Die Menschen kommen auch so zu mir. Mein Spezialgebiet spricht sich bei gehörlosen Eltern schnell rum.“

Kritisch sieht Cord Haack-Schulz vom Verein „Freunde blinder und sehbehinderter Kinder e. V.“ die Umstrukturierung: „Wir haben Bedenken, dass Kinder mit speziellen Behinderungen, wie der Sehbehinderung, bei den neuen Frühförderstellen mit Komplexleistungen nicht genug beachtet werden.“ Der Verein, der als Frühförderstelle schon jetzt mit einem interdisziplinären Team etwa 70 Kinder betreut, will deshalb auch in Zukunft diese Aufgabe übernehmen.

Ob und wie weit die interdisziplinären Frühförderstellen auf spezielle Behinderungen ausgerichtet sein werden, darüber macht die zuständige Behörde für Soziales und Familie (BSF) noch keine Angaben. Auch wann die Umstrukturierung abgeschlossen sein wird, ist noch unklar. Als sicher gilt immerhin, dass die Kostenübernahme geregelt wird, denn bisher stritten die Sozialhilfeträger und Krankenkassen oft um die Finanzierung der Förderleistungen. Verträge zwischen diesen Parteien sollen die Zuständigkeiten nun auch für die Eltern transparenter machen.