Skrupellos in Schottland

Viel Lärm um ein Lied: Brian Friels „Der Wunderheiler“, das jetzt im Rangfoyer des Schauspielhauses Premiere hatte, beleuchtet eine eigentlich unspektakuläre Lebensgeschichte aus drei Perspektiven

von Carolin Ströbele

Am Ende weiß keiner mehr, wer den gottverdammten Song eigentlich gewollt hatte. Tatsache ist, dass die zerkratzte Platte von Fred Astaires „The Way You Look Tonight“ bei jedem Auftritt von Frank, dem „Wunderheiler“, lief. Frank sagt, es sei die Idee seines Managers Teddy gewesen, Franks Frau Grace ist der festen Überzeugung, ihr Mann selbst habe darauf bestanden. Und Teddy wiederum schwört Stein und Bein, Grace habe um den Song gebeten.

Eigentlich ist es nur die Geschichte eines Liedes, das am Ende keiner mehr hören wollte. Und doch ist der Plot von Brian Friels Der Wunderheiler das jetzt im Rangfoyer des Schauspielhauses Premiere hatte, symptomatisch für das ganze Leben dieser Schausteller-Truppe. Jeder erinnert sich nur an das, an das er sich erinnern möchte – und was er im Nachhinein noch ertragen kann.

Es ist ein hartes Leben, das die Schicksalsgemeinschaft eint. Francis „Frank“ Hardy, exzentrischer und skrupelloser Künstler, der mit seinen heilenden Händen angeblich Menschen von allen Leiden befreien kann, seine ihm hörige Frau Grace und der abgehalfterte Manager Teddy tingeln durch die erbärmlichsten Absteigen Schottlands. Mal gelingt ein „Wunder“, von dem keiner der drei je sicher ist, dass es tatsächlich eines ist. Mal passiert gar nichts – was bleibt, ist die Hoffnung, einmal „ganz groß herauszukommen“.

Der irische Dramatiker Brian Friel erzählt in Der Wunderheiler dieselbe Lebens- und Leidensgeschichte aus drei Perspektiven. Jungregisseur Kevin Rittberger hat dieses schöne Gedankenspiel sehr schlicht auf der kleinen Bühne im Rangfoyer des Schauspielhauses umgesetzt. Der Ort ist gut gewählt: Das Durchgangszimmer zwischen den zwei Treppenhäusern des Theaters hat einen provisorischen Charakter. Zwischen den beiden Flügeltüren fühlt man sich tatsächlich ein wenig wie auf einer Wanderbühne.

Der 28-jährige Regisseur hat sich bei seiner Inszenierung ganz auf die Erzählkunst seiner Schauspieler verlassen. Abwechselnd nehmen Philipp Otto (Frank), Irene Kugler (Grace) und Lutz Salzmann (Teddy) auf den roten Ledersofas Platz. Vor allem den beiden Männern gelingt es, die schwierige Balance zwischen beiläufigem Smalltalk und Lebensbeichte zu halten, die Friels Monologe verlangen. Sie entwickeln sich ganz langsam, bauen sich nach und nach auf wie die Sätze einer Sinfonie. Und was als harmloses Geplauder begonnen hat, wird auf einmal unversehens zum schonungslosen Seelenstriptease. Doch kurz bevor es an den Punkt kommt, an dem es wirklich ans Eingemachte geht, brechen die Erzähler jeweils ab. Und so hält die Spannung an bis zum bitteren Ende des Stücks, als der Zuschauer schließlich erfährt, wie Franks letzte „Wunderheilung“ ausgegangen ist. Ob es sich dabei um eine Erlösung handelt, ist eine Frage des Betrachters.

Weitere Vorstellungen: 21.1., 22 Uhr sowie 27.1., 20.30 Uhr, Rangfoyer des Schauspielhauses