: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Die Signale, die Shannon Finleys Gespenster an mich aussenden, heißen Glas- oder expressionistische Architektur, Paul Scheerbart, Erich Mendelsohn, Bruno Taut und Hans Poelzig. Spontan erinnere ich mich an deren Zeichnungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn ich Finleys Gemälde vom Anfang des 21. Jahrhunderts anschaue. Messerscharfe Kanten trennen die hochglänzenden Dreiecksformen, aus denen prismatische Räume und Figuren und manchmal auch ein Gesicht entstehen. Die reizvollen Abstraktionen des 1974 in Ontario geborenen Künstlers, der jetzt seine erste Berliner Einzelausstellung bei Christian Ehrentraut hat, könnte man auch als Schleppnetz interpretieren, mit dem er die ganze jüngere Kunst- und die jüngste Popgeschichte von Grund unseres visuellen Archivs hochholt. Von der spirituell gedachten Transparenz der Reformbewegungen über die Op art hin zur Psychedelik der 70er-Jahre und zur ersten Computerspielästhetik. Ganz anders, aber ebenfalls seltsam vertraut wirkt die Malerei der jungen spanischen Künstlerin Lorena Álvarez, die im Rahmen ihrer ersten Berliner Einzelausstellung „Stairway to Painting“ in der Sammlung Lützow drei großformatige Arbeiten auf Plastikplane und fünf Mittelformate auf Pappkarton zeigt. Hier ist es nun die neonaiv die Zweidimensionalität der Malfläche betonende Formendichte und die Motivwahl der Landschaft, die zwangsläufig an Henri Rousseau erinnert, der ja im Moment (100. Todestag) groß gefeiert und damit allenthalben reproduziert wird. Álvarez malt schlicht, und in dieser Reduktion liegt auch die Raffinesse ihrer Arbeiten: Ihr „Sturm“ ist einer, und zwar bei all den vermeintlich kindlichen Kringeln, ein ziemlich bedrohlicher. Nein, ihre Malerei ist nicht von Pappe, auch wenn sie auf Pappe gemalt ist. „Stairway to Painting“ muss übrigens ganz wörtlich verstanden werden!
■ Shannon Finley, „Spectres into Signals“, Galerie Christian Ehrentraut, Friedrichstr. 123, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 31. 3.
■ Lorena Álvarez, „Stairway to Painting“, Sammlung Lützow, Remise Potsdamerstr. 91, tägl. 14–18 Uhr, bis 13. 2.
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