Bio-Import oder Umland?

ÖKOBILANZ Lokal, regional, ganz egal? Immer mehr Menschen kaufen von regionalen Anbietern – aus Sorge um die Umwelt. Doch wie groß ist der Unterschied in der Ökobilanz zwischen Importprodukten und Lebensmitteln aus dem Umland tatsächlich?

VON E.F. KAEDING

Kein Zweifel, Regional ist das neue Bio. Nachdem es in den vergangenen Jahren vor allem darum ging, gesünder und schadstoffarmer zu essen, achten die Menschen nun auch zusätzlich auf die Klimaverträglichkeit der Lebensmittel. Aus dem Trend sind ganze Produktlinien wie „Unser Norden“ erwachsen, Supermärkte preisen Gemüse und Obst mit „Aus der Region“ oder „Unsere Heimat – echt & gut“ an.

Nach der öffentlichen Meinung muss ein Lebensmittel aus dem Umland durch die kurze Versorgungskette einfach eine bessere Klimabilanz aufweisen, als ein Importprodukt aus Übersee. Das muss immerhin quer über die Weltmeere bis in die Auslage des lokalen Lebensmitteldiscounters geschifft werden – ein Emissionsausstoß ohnegleichen. Aber ist die Rechnung wirklich so einfach? Oder gibt es neben dem Transportweg noch weitere entscheidende Kriterien mit Einfluss auf den CO2-Fußabdruck?

Eine Ökobilanz-Analyse kann dabei Aufschluss geben. Die untersucht und bewertet den gesamten „Lebensweg“ einer Ware auf dessen Umweltwirkungen. Von der Produktion über die Nutzungsphase bis zur Entsorgung werden sämtliche Faktoren berücksichtigt. Die Entnahme von Rohstoffen wie Erzen oder Öl ebenso wie die Herstellung von Betriebsstoffen. Auch einberechnet werden der Verbrauch fossiler Energieträger sowie die allgemeinen Einwirkungen auf Luft, Wasser, Boden. Aus der Wirkungsanalyse lässt sich dann die Ökobilanz ableiten. Bier, Milch, Rindfleisch – es bieten sich ausreichend Lebensmittel für einen Vergleich an. Die Forschung hat sich unter anderem auf den Apfel konzentriert.

Gut 972.000 Tonnen der beliebtesten Obstsorte im Land haben deutsche Obstbauern im vergangenen Jahr geerntet. Laut Statistischem Bundesamt hat die Apfelernte damit 90 Prozent der gesamten deutschen Baumobsternte ausgemacht. Die drei wichtigen Anbauflächen liegen in der Bodenseeregion, in Rheinland-Pfalz, und südlich Hamburgs im Alten Land. Der Apfel eignet sich besonders gut für einen Vergleich. Kunden fordern durch alle Jahreszeiten hindurch Äpfel, jeder Bürger isst im Durchschnitt 60 Stück pro Jahr. Um dieser hohen Nachfrage gerecht zu werden, beziehen Lebensmittelketten ihre Ware nicht nur aus Deutschland. Sondern eben auch über den Import. Wer ist also klimaschutztechnisch besser: Ein Gala Royal aus Südafrika mit seinem langen Anfahrtsweg von über 10.000 Kilometern? Oder der heimische Holsteiner Cox, der in wenigen Stunden im Geschäft liegt?

Die Justus-Liebig Universität in Gießen hat dazu vor einiger Zeit die Studie „Endenergieumsätze regionaler und globaler Prozessketten für Lebensmittel“ veröffentlicht. Darin heißt es, dass das „Regionalprinzip“, wonach bei der Herstellung von Lebensmitteln „Nah gleich Gut“ ist, nicht automatisch stimmt. Das entscheidende Kriterium für die Klimatauglichkeit ist nämlich weniger die Entfernung zwischen Produktions- und Verkaufsort, also der Transportweg und damit der Emissionsausstoß von Kohlendioxid (CO2), sondern vielmehr die Größe des Betriebs. Genauer, dessen „spezifischer Endenergieumsatz“.

Und dieser nimmt demnach mit zunehmender Betriebsgröße ab. Warum? Weil die Prozesskette globaler Riesenfabriken effizienter genutzt wird als bei den im Verhältnis wesentlich kleineren Unternehmen in Deutschland. „Kleinere Betriebe leiden unter energetischen ,Fixkosten‘, Mängeln in Auslastung und Logistik“, schreiben die Herausgeber der Forschungsarbeit. Manche lokalen Unternehmen, die keine eigenen Kühllager haben, müssen darüber hinaus ihre Waren nach der Ernte extra zu Kühlhäusern transportieren.

Überraschend ist dieses Fazit nur auf den ersten Blick. Denn der Bio-Markt ist eine rasant wachsende Branche. Es gibt nicht nur sehr viel Geld zu verdienen, sondern auch viel zu verlieren. Die Betriebswege der großen Industrie-Bio-Plantagen in Südafrika oder Argentinien müssen so reibungslos wie wirkungsvoll arbeiten, um im globalen Wettlauf ökonomisch konkurrenzfähig zu bleiben. Es lässt sich also sagen: Äpfel aus Übersee sind nicht zwangsweise schädlicher für das Klima als hiesige aus dem Alten Land. Die Ökobilanz hängt schlicht von der Effizienz der unternehmensspezifischen Distributionsstrukturen ab. Erst dann trifft auch das Prinzip „Nah gleich Gut“ zu – aus rein klimaschutztechnischer Perspektive betrachtet.

Denn das Ergebnis sagt freilich nichts über die sozialen Folgen der globalen Nahrungsmittelindustrie aus, wie Umweltorganisationen bereits bemängelten. Und schon gar nichts über den Geschmack halbreif geernteter Früchte. Daher ist niemandem ein Vorwurf zu machen, wenn er im Laden weiterhin zum lokalen Jonagold-Apfel greift. Dass damit gar ein Beitrag zum Erhalt von Kulturlandschaften geleistet werden kann, mag zudem etwas sein, auf das der ein oder andere im Zuge des Trends zum Regionalen vielleicht noch gar nicht gekommen ist. Um etwas für das Klima zu tun, könnte man nächstes Mal ja auch mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zum Obstladen fahren.

„Endenergieumsätze regionaler und globaler Prozessketten für Lebensmittel“: http://ernaehrungsdenkwerkstatt.de/fileadmin/user_upload/EDWText/TextElemente/Ernaehrungsoekologie/Schlich_Goedoelloe_2008.pdf; „Äpfel aus deutschen Landen – Endenergieumsätze bei Produktion und Distribution“: www.uni-giessen.de/fbr09/pt/PT_Publikationen/Apfelbuch_Kurzbeschreibung.pdf