Gesättigte Märkte und Verhungerte

Macht Kapitalismus Sinn? Rechts- und Linksprominenz diskutieren ein schöneres System. „Gibt keine Alternative“

Einige haben mehr als sie jemals ausgeben können, andere leben in Armut

Es war eine Ankündigung, über die man beim Lesen stolpert: „Uni fragt nach Sinn und Zweck des Kapitalismus“, hieß es da. Galt doch das kapitalistische Wirtschaftssystems spätestens seit dem Ende des real existierenden Sozialismus zumindest in der breiten Öffentlichkeit als alternativlos. Doch ein Jahr nachdem Franz Müntefering die „Heuschreckendebatte“ angestoßen hatte, diskutierte nun sogar die Privatuni Witten-Herdecke am vergangenen Donnerstagabend die gleichermaßen naive wie radikale Frage nach dem Sinn und Zweck des Kapitalismus. Mit dabei: Der Chef der Drogeriekette DM, Götz Werner, der kürzlich mit der Forderung nach einem leistungsunabhängigen Grundeinkommen für alle für Diskussionen sorgte, und die Europaparlamentarierin Sahra Wagenknecht (Die Linke.PDS).

Allerdings sollte es – so der Wille des Moderators – weniger um eine grundsätzliche Hinterfragung des Kapitalismus als vielmehr um die Frage nach dessen „System- oder Funktionssinn“ gehen. Die Hüter der Wirtschaft nahmen ihr System gleich in Schutz: „Es gibt keine vernünftige Alternative dazu“, sagte Bernd Frick, Dekan der Wirtschaftsfakultät der Uni Witten- Herdecke. Carl Christian von Weizsäcker, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln, berief sich zwar auf Karl Marx und dessen Analyse, der Kapitalismus habe die Produktivkräfte entfesselt. Mit der höheren Produktivität seien jedoch entgegen der marxschen Analyse auch der Wohlstand, die Lebenserwartung und die Freizeit der Menschen gewachsen. Der Kapitalismus habe positive und negative Seiten.

Die links-prominente Wagenknecht kritisierte dagegen, der Kapitalismus orientiere sich ausschließlich am Profit und nicht daran, was gesellschaftlich sinnvoll sei: „Wie sinnvoll ist eine Gesellschaft, in der Einige mehr haben als sie jemals ausgeben können und andere in Armut leben?“ Sie forderte die Daseinsvorsorge von Marktmechanismen auszunehmen und der öffentlichen Hand zu übereignen – allerdings demokratisch kontrolliert und durchaus mit Leistungsanreizen. „Der Markt orientiert sich nicht am Bedarf, sondern an zahlungskräftiger Nachfrage.“ So würden viele Märkte Afrikas als gesättigt angesehen, während dort gleichzeitig Menschen verhungerten.

Frick betonte dagegen den Segen des Kapitalismus insbesondere bei der Privatisierung staatlicher Unternehmen. Nirgendwo sei die „Ressourcenverschwendung“ so hoch wie bei staatlichen Unternehmen, so Frick. Als positives Beispiel nannte er die Liberalisierung auf dem Flugmarkt, die dazu geführt habe, dass auch Überseeflüge für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich geworden seien. Effizienter heiße jedoch oft auch, dass Menschen entlassen werden und die verbleibenden mehr arbeiten müssten, hielt Sahra Wagenknecht dem entgegen. Drogerist Götz Werner sieht das Übel an den Kapitalmärkten: „Auf den Kapitalmärkten enteignen die Schlauen die Dummen.“ Werner tourt gerade mit seiner Idee eines leistungsunabhängigen Grundeinkommens durch die Republik. Das Steuersystem müsse grundlegend weg von der Einkommensversteuerung hin zu einer Konsumversteuerung (Mehrwertsteuer). Dadurch würden die Lohnkosten sinken, was zu höheren Löhnen und mehr Arbeitsplätzen führen würde.

Die Diskussion blieb genauso stecken wie 2005 der Heuschreckenvergleich: Die grundlegende Kritik am Kapitalismus verpuffte schnell in Kritteleien. Einig waren sich die DiskutantInnen letztendlich nur darin, dass die Wirtschaft irgendwie für die Menschen da sein müsse und nicht umgekehrt.

JÖRN-JAKOB SURKEMPER