Veränderte Verhältnisse

ISRAEL/USA Peter Beinart untersucht, was aus dem legitimen jüdischen Lobbyismus in den USA geworden ist

Zionismus bedeutete seit seiner Entstehung ein Unglaubensbekenntnis

VON DETLEV CLAUSSEN

Israelkritische Literatur von Juden gibt es en masse. Israelkritische Literatur von um Israel besorgten Nichtjuden gibt es noch viel mehr. Man könnte das Buch von Peter Beinart nach den altbekannten Mustern wahrnehmen, das heißt, es verkennen. Gleich zu Anfang bekennt sich der US-amerikanische Journalist Peter Beinart als linksliberaler Zionist. Eine solche Selbstpräsentation in der amerikanischen Öffentlichkeit ist ein starkes Signal, das sogleich Gegner bis Feinde auf den Plan ruft.

Zionismus bedeutete seit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert ein Unglaubensbekenntnis: An die Fähigkeit der bürgerlichen Gesellschaften, den Antisemitismus zu überwinden, wurde nach 100 Jahren Emanzipationsversprechen nicht mehr geglaubt. Aber die Zionisten misstrauten auch der in der Diaspora lebenden jüdischen Mehrheit. Ihrer Neigung, sich dem Assimilationsdruck ihrer nationalen Umgebungen zu beugen, setzten die Zionisten einen eigenen, utopischen Nationalismus entgegen. Bis in die dreißiger Jahre war der Zionismus weder unter den Juden Westeuropas noch Osteuropas mehrheitsfähig.

Die Juden des Westens Ende des 19. Jahrhunderts waren mehrheitlich liberal, die des Ostens sozialistisch. Diese Verhältnisse spiegeln sich in der Geschichte der amerikanischen Juden wider, die sich erst angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung nationwide zu organisieren begannen. In den jüdischen Organisationen, die zur Zeit des New Deal sich konstituierten, setzte sich diese Gemengelage als Linksliberalismus durch, der zur Politik des Franklin D. Roosevelt passte. Aber zugleich übten die jüdischen Organisationen Druck auf die Realpolitik aus, die Juden in Europa im Schatten eines Weltkrieges nicht zu vergessen. Das ist die legitime Wurzel des jüdischen Lobbyismus in den USA.

Als 1948 der Staat Israel gegründet werden konnte, kam das amerikanischen Zionisten wie die Erfüllung ihres Traums vor. Für die verfolgten Juden überall auf der Welt war gegen den Willen der alten Kolonialmächte endlich eine Heimstatt geschaffen worden, die es von nun an konkret zu unterstützen galt. In Amerika hatten die jüdischen Organisationen sich einen Respekt verschafft, der den Aufstieg der amerikanischen Juden von einer diskriminierten Minderheit in die breiter werdende middle class begleitete.

Demokratische Werte

An dieses Goldene Zeitalter, nicht nur des amerikanischen Zionismus, erinnert Peter Beinart in seinem Buch über die „Krise des Zionismus“ eindringlich. Die jüdischen Organisationen pflegten Solidarität mit dem einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten, der mit ihren politischen Interessen im amerikanischen Heimatland im Einklang stand. Die praktische Bekämpfung des Rassismus, die Verwirklichung der Chancengleichheit in einer demokratischen Gesellschaft, waren universelle Ziele, die in Übersee wie zu Hause galten.

Gerade aber weil die amerikanischen Juden in den USA erfolgreich waren, verspürte die Mehrheit wenig Neigung, nach Israel auszuwandern, wie es der zionistischen Idee entsprochen hätte.

Zurück blieb ein Schuldgefühl, das noch den 1971 geborenen Peter Beinart ergreift, wenn er an Israel denkt. Er kam nach der Zeitenwende 1967 zur Welt, als Israels Image sich im Juni über Nacht veränderte – vom bedrohten kleinen Staat in einer feindlichen Umwelt zu einer erfolgreichen Militärmacht, die andere das Fürchten lehrte. Israel wandelte sich: Aus der demokratischen Community einer bedrohten Minderheit wurde eine Besatzungsmacht, die ein ethnokratisches Regime über eine rechtlose palästinensische Bevölkerung errichtete.

In einem Zeitalter der Dekolonisierung verfolgt Israel seit über 40 Jahren ein siedlerkolonialistisches Projekt, das weltweit Kritik auf sich zieht. Das seit 1967 andauernde israelische Regime ist mit den linksliberalen Vorstellungen der Mehrheit amerikanischer Juden von einem demokratischen Staat im Nahen Osten unvereinbar. Die israelische Politik verlangt von der Diaspora bedingungslose Solidarität und beutet das schlechte Gewissen der in der Diaspora verbleibenden Judenheit aus. Beinarts Buch ist ein groß angelegter Versuch, sich dieser Geiselnahme durch die israelische Politik zu entziehen.

Politische Verschiebung

Beinart versucht es mit Argumenten; damit aber hat man es schwer, wenn es um Glaubens- und Identitätsfragen geht. Beinart macht den Leser mit der Soziologie des amerikanischen Judentums bekannt, um die man wissen muss, wenn von „israelischer Lobby“ die Rede ist. In der Tat gibt es sie und sie hat einen enormen Einfluss auf die amerikanische Politik. Das ist kein antisemitisches Gerücht.

Die gute Nachricht, dass die amerikanischen Juden keine diskriminierte Minderheit mehr sind, verwandelt sich in die schlechte Nachricht, dass für die Mehrheit das Interesse am Judentum wie an Israel nachlässt. Die einst linksliberal dominierten jüdischen Organisationen von gesellschaftlichem Einfluss sind in die Hand von kritiklosen Israelsupportern übergegangen, die ein Bündnis mit der republikanischen, meist christlich-evangelikalen Rechten eingegangen sind, um ihre Interessen durchzusetzen. Demokratisierungsprozesse im Nahen Osten interessieren sie nicht, werden eher als störend empfunden, weil sie den Status quo, in dem Israel die machtpolitischen Fäden in der Hand hält, gefährden.

Der Schwanz des Hundes

Unglaublich kenntnisreich und gut geschrieben sind die Kapitel über Barack Obama und Benjamin Netanjahu, die ein genaues Bild von der Verkehrung der Machtverhältnisse zeichnen.

Obama, der in seinen Nahostvorstellungen der amerikanischen linksliberalen Tradition sehr nahe kommt, wurde durch das propagandistische Bombardement rechtsdominierter jüdischer Lobbyorganisationen im Bündnis mit dem republikanisch dominierten Kongress gezwungen, die Schlüsselforderung nach dem Stopp der Siedlungsprojekte, ohne die es keinen Fortschritt bei Friedensgesprächen geben kann, aufzugeben.

Inzwischen wackelt der israelische Schwanz mit dem amerikanischen Hund. Aus Angst um die Wiederwahl sind alle linksliberalen Nahostberater aus Obamas Team verschwunden, die Autorität des im Nahen Osten zahnlosen Präsidenten ist demontiert, Palästinenserpräsident Abbas steht als ohnmächtiger Lakai da – und die demokratische Partei verabschiedet Resolutionen, die aus dem Pressebüro von Netanjahu kommen könnten. Diesen von Beinart minutiös geschilderten Prozess der letzten fünf Jahre nachlesen zu können, ist schon den Kauf dieses Buches wert.

Beinart schreibt gegen die Hoffnungslosigkeit an, die Gleichgültigkeit zur Folge hat. Die Auspizien stimmen nicht optimistisch. Zwar denkt und wählt die Mehrheit der amerikanischen Juden immer noch linksliberal, aber sie ist immer weniger bereit, sich in den rechtsdominierten jüdischen Organisationen zu engagieren.

Nur bewusste Minderheiten innerhalb der amerikanischen Juden interessieren sich für Jüdisches; und wer sich für Jüdisches interessiert, eine Art neuer Religiosität, fühlt sich vom Zionismus und Israel nicht angesprochen; denn das realisieren die wenigsten, die mit jüdischer Geschichte nicht vertraut sind: Der Zionismus ist kein religiöses, sondern ein nationales politisches Projekt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.

Aus dem Grau in Grau der nationalen Idee lässt sich im 21. Jahrhundert nichts verjüngen; sondern nur aus der schonungslosen gesellschaftlichen Analyse der Gegenwart. Beinart unternimmt sie – für die USA und für Israel.

Peter Beinart: „Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft“. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. C. H. Beck, München 2013, 320 Seiten, 24,95 Euro