LESERINNENBRIEFE
: Die Angst vor der Krankheit

Die Schauspielerin Angelina Jolie entschied sich für eine Brustamputation, um ihr Krebsrisiko erheblich zu minimieren. War das richtig oder falsch? Hat sie sich der Schulmedizin gebeugt? Und wie präsentierte die taz das Thema aus Sicht der LeserInnen

Verharmlosung

■ betr.: „Die Lust wird nicht beeinträchtigt“, taz vom 18. 5. 13

Die Betitelung offenbart, worum es wirklich geht: Nicht das Schicksal der betroffenen Frauen, nicht die medizinische Prozedur, nicht die Problematik von genetischen Untersuchungen als neue Art der Vorsorge stehen im Vordergrund, nein: die Erscheinungsform der Frau und ihre sexuelle Leistungsfähigkeit bzw. der Erhalt derselben sind Indikatoren für eine gelungene OP. Die Verharmlosung des ganzen Komplexes von Wissen/Nichtwissen/Handeln/Nichthandeln werden dann wunderschön in der letzten Antwort der Gynäkologin Marion Kiechle auf die Frage nach einem guten Umgang mit eigenen Kindern in dem Prozess zusammengefasst: Alles kein Problem, die Kinder sollen mit 18 aufgeklärt werden und können dann frei entscheiden, ob sie den Test machen wollen oder nicht.

Damit wird eine angebliche Entscheidungsfreiheit propagiert, die weder Kinder noch Eltern besonders in Familien mit einer Geschichte von gemeinsamen (Krebs-)Krankheitserfahrungen aufweisen können. Da spielen Schuldgefühle sowohl der Kranken als auch der Gesunden rein, da werden auf einmal Familienbeziehungen revitalisiert und das verbindende Band ist eine Krankheit.

Was hätte ich mir von einer vermeintlich kritischen, linksorientierten Zeitung und vor allem von einer Journalistin gewünscht, die viel zu feministischen Themen schreibt? Es ist doch interessant, wie sich in der Debatte um Angelina Jolies Entscheidung Normen reproduzieren, nachdem die Aufgaben einer jeden Frau in erster Linie darin bestehen, so lange es geht für ihre Kinder da zu sein, so lange wie möglich sexuell aktiv zu sein und bitte niemandem durch eine mögliche Krebserkrankung zur Last zu fallen. Wie sich das Durchregieren einer neoliberalen Gesellschaft am Umgang mit dem Brustkrebsgen zeigt: Ich bin verantwortlich für mein Schicksal und ein verantwortungsvoller Umgang mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit ist eine Brustamputation (aber bitte dafür sorgen, dass hinterher noch alles sitzt und Lust macht).

Was völlig gefehlt hat in den endlosen Reproduktionen von OP-Geschichten: Was ist mit Frauen, die nur die intensivierten Früherkennungsprogramme mitmachen und sich gegen eine OP entscheiden? Ihr Lebensweg besteht aus Pest oder Cholera: Entweder die ewige Angst vor einem Krankheitsausbruch oder, wenn diese dann da ist: die Schuldgefühle, „nichts“ gegen die Krankheit getan zu haben.

SARAH CLASEN, Berlin

Demut, bitte

■ betr.: „Die Lust wird nicht beeinträchtigt“, taz vom 18. 5. 13

Erst einmal wünsche ich Frau Jolie, dass sie für sich die richtige Lösung gefunden hat und gut damit leben kann. Aber „ein mutiger Schritt“, wie Frau Kiechle findet, möchte ich hinterfragen. Wohin soll uns dieser Größenwahn, alles im Griff und unter Kontrolle zu haben, eigentlich noch hinführen? Wann wird infrage gestellt, ob wir wirklich alle sterben müssen? Es ist doch einfach eine Illusion und Selbstlüge, wenn Frauen – und Männer – sich bis zur Unkenntlichkeit liften lassen und sich im Fitnessstudio quälen und meinen, dann werden sie nicht älter! Als nächstes muss Frau Jolie sich die Eierstöcke entfernen lassen, um ein weiteres Risiko auszuschließen – und sie wird trotzdem irgendwann sterben müssen, selbst wenn ihr Körper nur noch aus Ersatzteilen besteht!

Zu den Schuldgefühlen, von denen Frau Kiechle spricht: Ist es nicht an der Zeit, dass wir uns fragen, welchen Platz wir Menschen in diesem Universum haben? Wir sind doch keine Wesen, die aus dem Nichts entstehen und dann alles beherrschen können! Wir leben und sterben eingebettet „in allem“ und tragen die Gene unserer Mütter, Väter, Grußmütter, Großväter, unserer Ahnen und Ahninnen in uns, ob uns das gefällt oder nicht – ist da nicht ein bisschen Demut und Bescheidenheit angebracht? OLGA WIERMANN, Hamburg

Gesünder leben

■ betr.: „Jolies Entscheidung“, taz vom 14. 5. 13

„Ich lass mir mal eben die zweite künstliche Hüfte/Kniegelenk einbauen“ ist schon eine Standardbemerkung im Bekanntenkreis. Was mache ich denn bei einem Gen mit Hautkrebsrisiko – mir die Pelle vom Leib ziehen lassen? Beim Auto wird peinlich genau darauf geachtet, den richtigen Kraftstoff zu tanken, Werkstatttermine wahrzunehmen, teures Öl einzufüllen. Und wie gehen wir mit unserem Körper, unserem Geist, unserer Seele um? Eine Ernährung, so natürlich wie möglich, gesunde Lebensweise, Minimierung schädlicher Umweltfaktoren – und das über Generationen hinweg, stärkt unser Immunsystem und verringert die Gefahr von Zivilisationskrankheiten. Der Mensch ist keine Maschine, an der einfach Teile ausgewechselt oder entfernt werden können. Und wir sind „höheren Mächten“ oder Gendefekten nicht völlig hilflos ausgeliefert. Adelheid, taz.de

Sie will leben

■ betr.: „Jolies Entscheidung“, taz vom 14. 5. 13

Wie kommt frau dazu, den Körper einer anderen Frau als „künstlich wirkend“ zu bezeichnen? Eine schlanke, trainierte Frau arbeitet als Schauspielerin und damit natürlich auch mit ihrem Körper, aber was gibt es da zu beurteilen außer ihrer Kunst? Das Risiko von Frau Jolie, an Brustkrebs zu erkranken, lag bedingt durch eine Genmutation vor der Operation bei 87 Prozent. Jetzt beträgt das Risiko unter 5 Prozent. Was hat die Entscheidung zur Operation da mit „Glauben“ an die „Schulmedizin“ zu tun? Frau Jolies Körper war schon immer „mehr als eine Projektion von Sex-Appeal“, nicht „von nun an“ (was für ein Satz voller eigener Projektionen!). Er ist ihr lebendiger Körper, mit dem sie weiterleben und alt werden möchte. Gästin, taz.de

Schulmedizin

■ betr.: „Jolies Entscheidung“, taz vom 14. 5. 13

Hat sie die entsprechenden Tests gemacht und sind diese positiv ausgefallen, so ist diese schwere Entscheidung eine sehr weise. Allen Pharma-Skandalen, Klinikinfektionen und Kunstfehlern zum Trotz: Sagt dir die Schulmedizin, dass du mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkrankst, dann liegt die Wahrscheinlichkeit bei 80 Prozent. Und wenn du deinen Brustkrebs nur mit Magnetsteinen, Handauflegen, Erdstrahlgymnastik, homöopathischem und anthroposophischem Firlefanz behandeln lässt, weil du der bösen Schulmedizin nicht traust, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass du an diesem Krebs stirbst, bei fast 100 Prozent.

Supi, taz.de

Ärzte schweigen

■ betr.: „Jolies Entscheidung“, taz vom 14. 5. 13

Interessant wäre noch die Frage der Vorsorgemaßnahmen. Obwohl die Kernspintomographie eine deutlich höhere Nachweiswahrscheinlichkeit hat als die Mammographie, wird diese in der Regel nicht von den Krankenkassen finanziert. Wieso bevorzugt man mit der Mammographie eine deutlich schlechtere Methode, die zudem noch wegen der eingesetzten Röntgenstrahlen selbst Krebs verursacht? Stattdessen verprassen unsere Politiker das Geld für die Elektronische Gesundheitskarte, während die Ärzte schweigen und die Trolle jahrzehntelang mit längst überholten Studien argumentieren. Vorsorge, taz.de