Auslaufmodell Zweiklassenmedizin

NACHGEHAKT Um die neuen Methoden der Medizin nutzen zu können, muss das Krankenversicherungssystem reformiert werden

Die medizinische Technik, Krankheitsrisiken präzise vorherzusagen, macht rasante Fortschritte. Private Krankenversicherungen aber können keine Gewissheiten versichern – es sei denn zu horrenden Prämien. Der Tübinger Arzt und Medizinethiker Urban Wiesing warb vor drei Wochen mit dieser Argumentation in der taz für eine Bürgerversicherung, quasi als Ausweg aus dem Dilemma, andernfalls auf eine unversicherbare Klasse von Patienten zuzusteuern. Er konnte damals nicht ahnen: Mit ihrer Entscheidung, sich die Brüste abnehmen zu lassen, wurde Angelina Jolie nur wenige Tage später das prominenteste Beispiel für seine These. Ein Test hatte großes Risiko prognostiziert, dass sie an einem genbedingten Brustkrebs erkranken würde.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und die Stiftung Bertelsmann fordern nun eine Zusammenführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, wenngleich nicht als Reaktion auf Wiesings Thesen: Die bisherige Aufspaltung sei ganz einfach „ineffizient“ und vor allem „problematisch“ für Selbständige und Geringverdiener, klagen die Verbraucherzentralen.

Bei dem Präsidenten der Bundesärztekammer indes haben solche neuen Details in der Debatte um künftige Finanzierungsmodelle der Krankenversicherung bislang zu keinerlei Erkenntnisgewinn geführt: Frank Ulrich Montgomery plädiert weiter unbeeindruckt für den Erhalt der Zweiklassenmedizin in Deutschland. Diese Forderung will er ab Dienstag in Hannover beim 116. Deutschen Ärztetag auch von seinem Ärzteparlament beschließen lassen. Für Montgomery ist die Bürgerversicherung eine „Fehlentwicklung“. Sie würde dazu führen, „dass es keinen Qualitäts- und Leistungsdruck in der gesetzlichen Krankenversicherung mehr gäbe“, behauptete er vor wenigen Tagen vor Journalisten in Berlin. Klüger sei, jedem Kind in Deutschland ein Gesundheitssparkonto aus Steuermitteln einzurichten, findet der Ärztekammerpräsident.

HEIKE HAARHOFF