„Wir sollten nicht nur auf Chinas Regierung hören“

INTERVIEW Anlässlich des Besuchs von Ministerpräsident Li Keqiang äußert sich der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning zur Politik gegenüber China

■ Der 52-Jährige, seit 2010 Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, war zuvor FDP-Bundestagsabgeordneter.

taz: Herr Löning, China wird als Handelspartner wie Investor immer wichtiger. Werden Sie als Menschenrechtsbeauftragter zunehmend zum Bittsteller, der auch hier immer weniger Rückendeckung erfährt?

Markus Löning: Für eine Vertiefung der Beziehungen ist Vertrauen nötig. Das setzt voraus, das wir verstehen, was in Chinas Gesellschaft läuft. Dazu gehören freie Berichterstattung deutscher und chinesischer Journalisten, das Vertrauen in den Rechtsstaat oder die Transparenz politischer Abläufe. Tiefere Beziehungen setzen auch voraus, dass wir über schwierige Themen sprechen, wozu auch die Bürgerrechte gehören.

Schwindet Ihr Einfluss in Peking durch die Eurokrise und Chinas Wirtschaftswachstum?

Beim deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog letzte Woche in China hat die dortige Seite erstmals anerkannt, dass er uns wichtig ist und sie mit uns darüber ausführlich reden. Dass wir politisch und wirtschaftlich innerhalb der EU ein so wichtiges Land sind und bilateral so intensive Beziehungen haben, gibt unserer Stimme Gewicht.

Welchen Erfolg hat der Menschenrechtsdialog konkret?

Welchen Sinn der Dialog hat, frage ich mich und meine nichtstaatlichen chinesischen Gesprächspartner auch immer wieder. Deren Antwort: Es ist sehr wichtig, dass westliche Regierungen die Menschenrechtsdefizite gegenüber der chinesischen Regierung ansprechen, auch wenn es nicht zu sofortigen Konsequenzen führt. Die deutsche Position wird deshalb gelobt.

Gibt es konkreten Erfolg?

Ein Dissident, der im Gefängnis war und auf einer unserer Listen stand, hat sich nach seiner Freilassung bedankt. Dass ihr nach mir gefragt habt, sagte er, hat dazu geführt, dass ich im Gefängnis besser behandelt wurde und meine Familie keinen Repressionen ausgesetzt war. Das ist ein individueller Erfolg, der sicher auch für andere Einzelfälle gilt, nach denen wir uns immer wieder erkundigen.

Ist die deutsche Kritik an Chinas Haltung zu den Menschenrechten nicht unglaubwürdig, weil Berlin sich etwa gegenüber Saudi-Arabien zurückhält und dorthin sogar Panzer liefert?

Das ist schwer zu messen. In Saudi-Arabien spielen andere Dinge eine Rolle als in China, die Zusammenarbeit ist eine andere. Wir sprechen jeweils angemessen und deutlich die Dinge an. Exbundeskanzler Helmut Schmidt verteidigt Chinas Menschenrechtsbilanz mit Verweis auf andere Traditionen. Unter Karl dem Großen oder Ludwig XIV. war Europa auch kein Paradies der Bürgerrechte. Europas Tradition ist eine von Willkür, Folter, Völkermord und absolutistischer Herrschaft. Wir sind da rausgewachsen durch die Aufklärung und die Politik insbesondere nach dem 2. Weltkrieg in Richtung Schutz der Individualrechte. In unserer Tradition sind wir von autoritären Regimen zum Respekt der Menschenrechte gekommen. Da ist es weder ein moralischer Zeigefinger noch Bevormundung, wenn wir sagen, das soll auch in anderen Ländern passieren. Chinesische Intellektuelle sagen mir: „Wir wollen auch den Schutz individueller Bürgerrechte.“ Wir sollten nicht nur auf die interessengeleiteten Äußerungen aus der chinesischen Regierung hören, sondern auf die gesamte Breite von Chinas Meinungsspektrum.

INTERVIEW: SVEN HANSEN