Wenn Scheitern nichts Schlimmes wäre

Eigentlich ist Deutschland gerade ziemlich mit sich selbst beschäftigt: Damit, dass am Samstag in London ein bisschen Fußball gespielt wird; mit dem Platz eins im internationalen Beliebtheitsranking der BBC, der mal wieder widerlichste Wir-sind-wieder-wer-Berichterstattung anstachelt; und natürlich damit, sich schon mal mit Dreck warmzuwerfen für einen schmuddeligen Wahlkampf – ob es jetzt um Merkel und die DDR geht, um die Grünen und die Kinder oder um de Maizière und seine Drohnen. Wobei diese Diskussion besonders ärgerlich ist, weil es die ganze Zeit nur um fadestes Zulassungs- und Geldgedöns geht, anstatt dass man endlich mal in der breiten Öffentlichkeit diskutierte, was der Einsatz von Drohnen durch die Bundeswehr ethisch und ganz praktisch eigentlich bedeuten würde.

Bei alledem wäre die US-Reise von Wirtschaftsminister Philipp Rösler beinahe untergegangen – hätte er dort nicht, ganz in der Tradition von Amtsvorgänger KT zu Guttenberg, jede Menge Fotos von sich anfertigen lassen. Nur eben nicht auf dem Times Square, sondern mit Start-up-Leuten im Silicon Valley, wo Ruhm, Geld und Erfolg und die fettesten Steuersparer überhaupt zu Hause sind. Rösler wollte dort natürlich für den Standort Deutschland werben – aber eben auch „Antworten auf die Frage finden, wie das Hightech-Mekka funktioniert“, berichten diverse Medien.

Was ein wenig albern ist, denn die Sache ist auch ohne Spesen, Delegation und Schnickschnack schnell erzählt: Man nehme mehrere gut ausgestattete Unis auf einem Haufen plus jede Menge privates und öffentliches Geld zur Förderung junger Unternehmer plus wenig Internetregulierungen. Ach ja – und man müsste natürlich schnell einen Kulturwandel herzaubern, in dem Scheitern nichts Schlimmes ist. Wovon dann auch die FDP nur profitieren würde. Unangenehmer wäre da schon, richtig viel Steuergeld in Bildung (was in den USA natürlich nicht passiert) und … na, sagen wir mal visionäre Start-up-Ideen zu stecken (was in den USA das Verteidigungsministerium und andere Behörden seit Jahrzehnten machen). Und man müsste als FDP natürlich auch den Arsch in der Hose haben, zu ein paar Internetkaputtorganisiergesetzen auch mal Nein zu sagen. Zum Leistungsschutzrecht etwa. So was nämlich würgt viele deutsche Start-ups mit ziemlicher Sicherheit ab.

Was, wenn an all diesen Berichten über ihn irgendwas dran sein sollte, auch Bild-Chefredakteur Kai Diekmann wissen müsste. Der nämlich hat jetzt ein Jahr lang im Silicon Valley rumgehangen, so dass er auch mit Rösler aufs Foto und ihn kernig umarmen darf. Hat sich Diekmann schließlich vom Gelfrisur-Stenz zum Wuschelbartträger gewandelt und damit auch angeblich zum Internetversteher. Was irgendwie ein wenig verwundert – wenn man bedenkt, dass sein Laden, der Springer-Verlag, zu den glühendsten Vorkämpfern dieses bekloppten Leistungsschutzrechts zählte. Und dann wieder doch nicht überrascht, denn Springer macht dank schlauer Investitionen in Internetunternehmen schon seit Jahren einen großen Batzen seiner Unternehmensgewinne mit der Onlinesparte.

Wobei interessant ist, dass Springers Digitalinvestitionen noch nie zu einem empörten Aufschrei hierzulande geführt haben – anders als in anderen Fällen, wenn ein fetter Unternehmensfisch wie zum Beispiel Yahoo ein anarchisches Start-up wie Tumblr schluckt und man im Kopf schon leise von Zehn runterzählen kann, bis das große Kommerz-Kommerz-jetzt-ist-unser-schöner-Dienst-kaputt-Gejaule in sozialen Netzwerken losbricht. Was einerseits berechtigt ist, weil so mancher blanke Schwanz, der heute noch unverhüllt auf Tumblr zu sehen ist, künftig nicht mehr ins AGB-Verständnis von Yahoo passen könnte, egal was dessen Chefin Marissa Mayer beteuert. Andererseits aber auch mal wieder zeigt, wie berechenbar diese globale Netzposse irgendwie auch ist.

Hier noch eine exzellente Idee für Rösler zum Internetstandort Deutschland: Hilfreich wäre auch schnelles Internet, das alle Daten gleich schnell transportiert. Also Netzneutralität. Dass man mit der Forderung, die zum Gesetz zu machen, ziemlich schnell ziemlich viel Unterstützung bekommen kann, zeigt Johannes Scheller, ein 19-jähriger Physikstudent aus Tübingen, den bis dato kaum jemand kannte: Innerhalb von vier Tagen unterschrieben mehr als 50.000 Unterstützer seine Petition.

Womit Scheller übrigens auch zeigt, dass die zuletzt bei der Internetkonferenz re:publica häufig medial geäußerte Sorge, die netzpolitische Szene in Deutschland sei hermetisch, klein und drohe zu überaltern, vielleicht doch etwas übertrieben ist: Es gibt ihn, den digitalpolitischen Nachwuchs. Und eine gute Nachricht braucht’s ja schon, pro Woche.

MEIKE LAAFF