Leute vom Umsonstladen sind verkauft

Auf einer Zwangsversteigerung wollten das Umsonstladen-Kollektiv und die Bewohner der Brunnenstraße 183 ihr Haus selber kaufen. Aber das Vorhaben platzte, weil das Haus schon verkauft war. Nun kämpfen die Leute für den Fortbestand des Projekts

von Martin Reischke

Im Foyer des Amtsgerichts Mitte ist es ziemlich eng. Um die 50 Leute haben sich hier versammelt, eingepackt in dicke Winterjacken, Mützen und Handschuhe. Gegen die Kälte hilft heißer Tee, der in Thermoskannen herumgereicht wird. Nur gegen die Enttäuschung gibt es kein Rezept, und die Enttäuschung ist groß an diesem Morgen.

„Wir reißen uns den Arsch auf, und dann hat uns der Kapitalismus wieder ein Schnippchen geschlagen“, sagt Jens Herrmann, einer der Bewohner der Brunnenstraße 183 und Mitglied im Verein Sozial Leben und Arbeiten. Im Auftrag der Hausbewohner und der Betreiber des bekannten Umsonstladens wollte der Verein das Haus in der Brunnenstraße 183 gestern ersteigern. Das Geld war schon unterwegs, da kam die Hiobsbotschaft vom Gericht: Die Bank hat die Einstellung des Verfahrens kurzfristig bewilligt, die Zwangsversteigerung des Hauses ist abgesagt.

Seit mehreren Jahren gibt es Streit um die Eigentumsverhältnisse des Hauses. Eine Immobilienfirma aus Tübingen hatte es 2001 gekauft. Wenig später zog sie sich aus dem Geschäft zurück. Mit ihr verschwand auch ein Kredit für das Haus, den die Bank Eurohypo AG gewährt hatte. Als Sicherheit diente ihr eine Hypothek auf das Haus, die sie nun in Geld umwandeln wollte.

„Das Haus wurde am Freitag verkauft“, sagt Andreas Funke, Sprecher der Eurohypo. „Über Kaufpreis und Käufer wurde Stillschweigen vereinbart.“

Moritz Heusinger sorgt für Klarheit: „Das Haus wurde für 285.000 Euro verkauft“, sagt der Rechtsanwalt, der die Hausbewohner und den Umsonstladen vertritt. Wer der Käufer ist, weiß er aber auch nicht.

Auch Brunnenstraßen-Leute hatten das Geld zusammen – durch Spenden, Kreditzusagen und eine 50-köpfige Leih- und Schenkgemeinschaft von Unterstützern. Trotzdem kamen sie bei den Verhandlungen mit der Bank nicht zum Zuge: „Zuerst fehlte uns das Geld, und als es dann da war, hatte die Bank kein Interesse mehr“, so Heusinger.

Dabei geht es auch um die Zukunft der 25 Bewohner, die zurzeit in dem Haus leben. Noch sind die Mieten sozialverträglich, doch das könnte sich unter einem neuen Eigentümer schnell ändern. Auch die Zukunft des Umsonstladens könnte bedroht sein, befürchtet Anne Schubert: „Wer so ein Haus kauft, hat natürlich Gewinnabsichten und will möglichst hohe Mieten erzielen“, sagt die Mitgründerin des Umsonstladens.

„Sie verlassen den kapitalistischen Sektor“: In dicken schwarzen Lettern steht es auf weißem Grund an der mit Zetteln übersäten Tür des Ladens. Dahinter ein wohnzimmergroßer Raum, links stapeln sich Haushaltsgegenstände, auf der rechten Seite stehen alte Bücher dicht gedrängt in den Regalen. Ein heller Kachelofen spendet etwas Wärme. Trotzdem ist es kalt, denn immer, wenn die Tür aufgeht, zieht eisige Winterluft in den kleinen Raum, und die Tür öffnet sich häufig. Mehr als 100 Leute besuchen den Laden jeden Tag.

Jeder, der vorbeikommt, darf drei Artikel mitnehmen – kostenlos natürlich. Beliefert wird der Laden von Leuten, die ihre alten Sachen ausrangieren. Damit jeder versteht, worum es geht, hängt im Laden ein großes Transparent mit den Worten: „Jeder Kauf ist ein Fehlkauf.“

Das könnte auch der neue Hauseigentümer bald spüren. Noch kennen ihn die Leute aus der Brunnenstraße nicht. Sie wollen hier bleiben und weiter geringe Mieten zahlen. Sie wollen nun das Gespräch mit ihm suchen, sagt Jens Herrmann: „Wir gehen davon aus, dass wir den neuen Eigentümer frühestens am Verhandlungstisch treffen.“