„Wir sind die Größten, nach uns kommt nichts!“

Im Soldiner Kiez bringen sich Jugendliche gegenseitig Streetdance bei. Hier lernen sie voneinander Respekt und Gehorsam. Und das auch noch freiwillig. Sie träumen davon, eine selbst organisierte Künstleragentur aufzubauen

Game Over Crew. Wie sind sie nur auf diesen Namen gekommen? „Das kommt vom Nintendo“, erklärt Gabriel Manz. Mit 21 Jahren ist er der Älteste der Game Over Crew und von Anfang an dabei. „Wir sagen allen: Euer Spiel ist aus, denn jetzt kommen wir: GOC, die Game Over Crew. Wir sind die Größten! Nach uns kommt nichts mehr!“ Sie reden durcheinander, rempeln, feixen und überschreien sich. Dreißig Kids, zwischen acht und siebzehn Jahren, mit vielfältigen Migrationshintergründen, auch viele Deutsche, Mädchen und Jungen. Also eine seltene Mischung für die meist streng getrennten Gruppen und Cliquen, in denen sich die Jugend im Kiez zu bewegen pflegt.

Es wird tatsächlich ruhig, wenn das „schschsch“ der Älteren durch den Raum zischt. Die Kids stellen sich an der Wand auf und hören zu. Manche tragen blaue T-Shirts mit silbernen Lettern: GOC Juniors. Sie wollen Street- und Breakdance lernen und am liebsten groß rauskommen. Es gibt noch viele, die auch mitmachen wollen, aber der Raum ist zu klein.

Zweimal in der Woche kommen sie ins Nachbarschaftshaus Prinzenallee im Soldiner Kiez. Kinder und Jugendliche, die sonst auf der Straße rumhängen, die wenig Bindung an Jugendclubs und institutionalisierte Angebote haben und als unzugänglich gelten. Hier erscheinen sie regelmäßig und pünktlich und akzeptieren die Regeln, die die Älteren, die sie trainieren, vorgeben: Respekt und die Jüngeren sollen auf die Älteren hören. „Wenn es Ärger gibt, dann sagen wir: Es gibt keinen Grund, Ärger zu machen“, erläutert Trainer Eduardo João, „Das hier sind deine Freunde, und du solltest sie mit Respekt behandeln.“

Konflikte, die die Juniors von draußen mit ins Training bringen, werden besprochen. Mittlerweile ist so aus „Du Türke, da“ einfach „Ercan“ geworden, „der Neger da drüben“ heißt jetzt „Dennis“, und das Wort „Nutte“ bleibt vor der Tür. Es gibt auch Strafen: Wer dauernd stört, provoziert oder andere beleidigt, muss Liegestützen machen. Das wird von allen akzeptiert.

Trainer Eduardo ist selbst erst 19 Jahre alt. Er hat seine Augen überall gleichzeitig und ist ein pädagogisches Naturtalent, so wie sein Namensvetter Noel João und die anderen drei Trainer: Gabriel Manz, Mateus Coutinho und Serkan Demir. Kennen gelernt haben sie sich beim Fußball und festgestellt, dass ihnen Streetdance mehr liegt. „Serkan hat auf kommerzielle Titel eigene Beats gemischt. Die haben wir uns angehört und angefangen zu tanzen. Wir hatten Spaß und sind schnell sehr gut geworden“, erzählt Noel. So entstand GOC. Auf der Suche nach einem Proberaum trafen sie Ines Grzyb, Mitarbeiterin in der mobilen Jugendarbeit der Weddinger Visionswerkstatt. Sie suchte ehrenamtliche Trainer für Streetdance im Nachbarschaftshaus Prinzenallee. Vor vier Monaten tat man sich zusammen: Proberaum gegen Training. Aus anfangs fünf lernwilligen Kids ist ohne Werbung die riesige Gruppe der GOC Juniors geworden.

Das alte GOC-Team ist in die neue Trainerrolle hineingewachsen. „Wir wollen die Kids von der Straße holen und allen zeigen: Die Kinder im Wedding sind nicht so doof, wie alle immer sagen. Die können was!“

Sie haben Autorität, weil sie die gleiche Sprache sprechen, die gleiche Geschichte haben und etwas zu bieten, was die Jüngeren von ihnen lernen wollen. „Ich bin stolz auf unsere Trainer und das, was wir hier geschafft haben“, sagt der achtjährige Dimitroff.

Bei den wenigen Auftritten, die es bis jetzt gab, durften nur die Besten auf die Bühne. Trotzdem ist jeder Auftritt ein Gemeinschaftswerk. Jeweils zu viert entwickeln sie die Choreografie zu den Musikstücken, die Serkan mischt. Danach werden die Ideen verbunden, wird eine gemeinsame Performance zusammengestellt und geübt.

„In der Gruppe sind viele Talente“, meint Eduardo und auch sonst kennen er und seine vier Kollegen viele, die etwas drauf haben. Eine Künstleragentur wollen sie gründen, um sich selbst, den Juniors und anderen Auftritte zu verschaffen. Unterstützt werden sie dabei von den MitarbeiterInnen der Visionswerkstatt, die logistisch und beratend zur Seite stehen. Die sehen ihr pädagogisches Konzept im Erfolg dieses selbst organisierten Trainings bestätigt: Projekte mit Jugendlichen und nicht für sie zu entwickeln und die Zugangsschwelle so niedrig wie möglich zu halten. „Probleme sollte man besprechen, wenn sie kommen“, meint Ines Grzyb, „und nicht durch Fernhalten bestimmter Jugendlicher vermeiden.“ BEATE SELDERS