Hausbesuch beim Kapital

OCCUPY Am Donnerstag beginnen in Frankfurt am Main die Blockupy-Aktionstage. Tausende linke Demonstranten werden erwartet. Wo sich ein Besuch lohnt: Der taz-Protestguide

VON TIMO REUTER

In Spuckweite zum antikapitalistischen Blockupy-Camp am Rebstockgelände liegt das EUROPAVIERTEL, ein am Reißbrett geplantes, durchgentrifiziertes Viertel der Superlative: Bis 2019 sollen dort rund 30.000 Menschen arbeiten und 10.000 wohnen. Warum das Quartier den Namen des alten Kontinents trägt? Gute Frage, vielleicht, weil es gut klingt – oder, weil das Europaviertel das Ideal eines kapitalistischen Europas verkörpert: ein viel gepriesenes „urbanes Lebensgefühl“, das vor allem durch künstlich angelegte Parks, saubere und sterile Straßenzüge sowie große Schopping-Center entstehen soll. Dass rumänische Billiglöhner zum Bau der Luxustempel ausgebeutet wurden, scheint dabei nicht zu stören. Europa, das heißt hier also: Teuer wohnen wie in London und schoppen wie in Mailand. Der Bezug zu einem solidarischen, freiheitlichen Europa, wie es sich Blockupy wünscht, fehlt.

■ Europaviertel, Europa-Allee, 60327 Frankfurt

Deutschlands größter FLUGHAFEN ist auch das Abschiebedrehkreuz der Republik: 2012 wurden mehr als ein Drittel aller 7.651 Abschiebungen aus Deutschland von Frankfurt aus vorgenommen. Wo andere in den Urlaub fliegen, da endete also im letzten Jahr für 2.753 Menschen eine oft verhängnisvolle Odyssee. Am 31. Mai wollen Blockupy-Aktivisten ab 13 Uhr den Frankfurter Flughafen aufsuchen, um gegen „rassistische Grenz- und Abschieberegimes der EU“ zu protestieren. Doch nicht nur deswegen lohnt sich ein Besuch. Seit Monaten demonstrieren Menschen gegen die zunehmende Lärmbelastung durch den Bau der neuen Landebahn. Übrigens: Der Flughafenbetreiber Fraport versuchte in der Vergangenheit, Demos durch „Hausverbote“ zu unterbinden – diese wurden vom Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis „Versammlungsfreiheit gilt auch im Frankfurter Flughafen“ kassiert.

■ Frankfurt International Airport, 60547 Frankfurt

Was die Kaaba für Pilger in Mekka, das ist die EUROPÄISCHE ZENTRALBANK (EZB) für die Blockupy-Demonstranten. Allerdings kommen diese nicht zum Beten, sondern zum Lahmlegen – Stadt und Polizei wollen das verhindern. Mitten im Herzen Frankfurts ragt die EZB in den Himmel. Die Wiese davor wurde ab Oktober 2011 für fast zehn Monate von Occupy-Aktivisten besetzt, inzwischen ist aber Gras über die von der Polizei geräumte Zeltstadt gewachsen. Nun will Blockupy die EZB attackieren, weil diese undemokratisch und „als Teil der Troika unmittelbarer Akteur der europäischen Verarmungspolitik“ sei. Stimmt. Aber: Die EZB ist Teil der Troika, das Spardiktat für Südeuropa hat jedoch vor allem die Bundesregierung erfunden. Die ist aber weit weg. Ein geeigneteres Ziel in Frankfurt wäre die ehemalige Arbeitsstätte von Thilo Sarrazin: die Bundesbank. Die steht der Bundesregierung politisch näher und hat sich vehement gegen den Kauf von Staatsanleihen ausgesprochen, den die EZB im letzten Jahr ankündigte, um die Zinsbelastung der „Krisenstaaten“ zu reduzieren.

■ Europäische Zentralbank, Kaiserstraße 29, 60311 Frankfurt; Bundesbank, Wilhelm-Epstein-Straße 14, 60431 Frankfurt

Es dürfte eines der am häufigsten besetzten Unigebäude der Republik sein: der AfE-TURM am Campus Bockenheim. 1972 als höchster Wolkenkratzer Frankfurts gebaut, wurde er vor allem neues Domizil für die kritischen Gesellschaftswissenschaften – obwohl der Turm nie ein Symbol gelungener Architektur war, repräsentierte dies die Wichtigkeit von Frankfurter Schule & Co. Der Turm ist seither berühmt für die unzähligen kreativen Wandmalereien sowie die häufigen Besetzungen. Davon ist nicht mehr viel übrig: Die meisten Fachbereiche sind an den schnieken Campus Westend (für Geschichtsbewusste: Campus IG Farben) umgezogen, der Turm ist geschlossen und aus Angst vor neuen Besetzungen im Inneren mit Natodraht gesichert – ob das reicht?

■ AfE-Turm, Robert-Mayer-Straße 5, 60325 Frankfurt

Die Wohnungspreise in Frankfurt zählen zu den teuersten Deutschlands, es fehlen Sozialwohnungen – während fleißig Luxuswohnungen gebaut werden. Deshalb müssen IMMOBILIENFIRMEN laut Blockupy „mit unangekündigtem Besuch rechnen“. Die Politik trägt natürlich auch eine Mitverantwortung, doch treiben auch Immobilienfirmen diese Entwicklung voran. Jüngstes Beispiel: Die Räumung des seit zehn Jahren besetzten „Instituts für vergleichende Irrelevanz“. Das Haus wurde von der Uni an die Immobilienfirma Franconofurt verkauft, die ihr Geld mit der „konsequenten Ausnutzung von Mietsteigerungspotenzialen“ verdient. Das Unternehmen befindet sich direkt neben der Zeil – wie gut, dass Frankfurt so klein ist. Diese kurzen Wege werden die Protesttouristen schätzen.

■ Rathaus am Römer, Römerberg 27, 60311 Frankfurt; Immobilienfirma Franconofurt, Roßmarkt 11, 60311 Frankfurt

Auf einer der umsatzstärksten Einkaufsmeilen Deutschlands zeigt sich gut, wie Stadtplanung funktioniert: Konsumförderung statt Freiräume heißt die Devise. So finden sich auf der ZEIL ein Konsumtempel neben dem anderen, global agierende Handelsketten dicht an dicht und ein paar exklusive Boutiquen. Die Blockupy-Aktivisten wollen hier am Freitag gegen die Textilindustrie demonstrieren: „Wir werden die brutalen Arbeitsverhältnisse der globalen Textilproduktion thematisieren.“ Kein schlechter Ort für dieses Vorhaben, denn auf der Zeil befindet sich nicht nur einer der beiden Primark-Läden der Stadt (der billigste unter den Billiganbietern), sondern etliche weitere in Verruf geratene Handelsketten wie H & M, Kik oder C & A sind hier zu finden, die in Bangladesch oder anderen Ländern Ostasiens produzieren lassen – und zwar, Hauptsache billig.

■ Zeil, 60313 Frankfurt

Frankfurt am Main ist voller Bankentürme, die man schon von Weitem in den Himmel ragen sieht. Die Stadt wird deshalb abfällig „Bankfurt“ oder liebevoll „Mainhatten“ genannt. Besonders an der DEUTSCHEN BANK gab es in den letzten Jahren heftige Kritik: Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Offshore-Oasen, aggressives Vermarkten minderwertiger Anlagen, Handel mit dem Tod (Lebensversicherungen) sowie Handel mit dem Hunger (Nahrungsmittelspekulation). Das größte deutsche Kreditinstitut ließ diese Kritik häufig an sich abprallen. Während etwa die Commerzbank nicht mehr mit Nahrungsmittelpreisen spekulieren will, macht die Deutsche Bank damit unbeirrt weiter. Blockupy will am 31. Mai ab 13 Uhr „an den Türmen der Deutschen Bank neokolonialen Landraub und Spekulation auf Nahrungsmittel skandalisieren“. Es wird laut: „Kochtöpfe sind unsere Aktionsmittel – wenn schon leer, dann aber laut!“

■ Deutsche Bank, Taunusanlage 12, 60325 Frankfurt

Der HENNINGER-TURM in Sachsenhausen verkörpert Frankfurts Nachkriegsgeschichte wie wenige andere Bauten: 1961 als Silo der Brauerei Henninger (Bier, nicht Apfelwein) erbaut, stand besonders das Drehrestaurant auf dem Turm für den bundesrepublikanischen Aufstieg: Mit dem Expressaufzug für eine Mark nach oben fahren und in 120 Metern Höhe ein Frankfurter Würstchen essen. Bis in die 70er Jahre war der Turm das höchstes Gebäude der Stadt – dann kamen die Banken. Die haben auch das traditionsreiche Radrennen „Rund um den Henninger-Turm“ vereinnahmt, es heißt nun irgendwas mit „Finanzplatz“. Die Brauerei wurde längst aufgekauft, in diesem Jahr haben die Abrissarbeiten am Turm begonnen. An die Stelle wird ein Wohnhochhaus gebaut, ausschließlich mit Luxuswohnungen. Auch das passt zu Frankfurts Geschichte – leider. Demonstranten könnten sich hier als Abrisshelfer probieren – freuen würde es bestimmt den Investor, die Milliadärsfamilie Hopp.

■ Henninger-Turm, Hainer Weg 60, 60599 Frankfurt