: Wurzelsuche zum Wohlfühlen
KINO In Barbara Alberts neuem Film, „Die Lebenden“, erforscht eine 25-Jährige die Geschichte ihres Großvaters. Doch die Aufklärung der Vergangenheit verkehrt sich in Narzissmus: Statt um Erkenntnis geht es den Nachgeborenen eher darum, sich besser zu fühlen
VON BARBARA SCHWEIZERHOF
Als Barbara Alberts neuer Film zum ersten Mal auf Festivals gezeigt wurde, lief er noch unter dem Titel „The Dead and the Living“. Die „Toten“ blieben auf dem Weg in die Kinos also auf der Strecke, und wenn man so will, spiegelt sich darin eine Stimmungslinie des Films wider: Um ganz in der Gegenwart zu sein, um sich lebendig zu fühlen, muss man die Toten zurücklassen.
Im Mittelpunkt steht Sita (Anna Fischer), eine junge Frau Mitte 20, die in Berlin Germanistik studiert und nebenher bei einer TV-Produktionsfirma arbeitet. Ihre Mutter (Almut Zilcher) wohnt irgendwo im Umland, ihr Vater (August Zirner) mit neuer Familie in Wien. Als sie dorthin fährt, um den 95. Geburtstag des Großvaters (Hans Schuschnigg) zu feiern, macht sie zwei beunruhigende Entdeckungen: Der Großvater, den sie offenbar sehr liebt, beginnt wirres Zeugs zu stammeln. Und dann findet sie ein zerrissenes Foto von ihm in SS-Uniform.
Das ist die etwas künstliche Anlage des auf autobiografischen Erfahrungen von Barbara Albert beruhenden Drehbuchs: dass Sita sich genau in dem Moment für Opas Vergangenheit zu interessieren beginnt, als der die Fähigkeit verliert, ihr darüber Rede und Antwort zu stehen.
Im Film ist das die beste Ausgangssituation, um Sita auf eine Reise zu schicken – nach Warschau, Stuttgart, Auschwitz und Rumänien –, die natürlich zugleich eine innere Expedition ist – zu den Vorfahren, zu den Wurzeln. Zwischendurch wird sie, ebenfalls so symbolisch wie wirklich, am Herzen operiert. Der Künstlichkeit dieses Aufbaus versucht Regisseurin und Autorin Barbara Albert entgegenzusteuern, indem sie in angedeuteten Szenen Sitas Verortung in der Gegenwart herausstellt.
So produziert die TV-Firma, bei der sie jobbt, eine Talent-Show nach dem Vorbild „DSDS“, bei der sich neben unbegabten Unterschichtlern auch Jugendliche mit Migrantenhintergrund bewerben und manchmal eine so bewegende Geschichte haben, dass sich Sita für sie einsetzen möchte.
Engagement, für was oder wen auch immer, ist sowieso das Milieu, in dem sich Sita bewegt. Auf ihrem Weg zur Uni regnet es Flugblätter; später in Warschau sieht man sie Arm in Arm mit anderen Demonstranten gegen eine Räumung protestieren. Der Israeli, in den sie sich bald verliebt, will als Fotokünstler über die Zustände im Gazastreifen aufklären. Und der Freund, dessen Porträt in der WG in Warschau hängt, starb „im Kampf um eine bessere Welt“. Manchmal setzt Albert die Zeichen der Zeitgenossenschaft so dicht, dass es fast wie Satire wirkt.
Sitas stückweise Erforschung der Vergangenheit bekommt dadurch etwas Befremdliches, und interessanterweise ist gerade das gar nicht mal so schlecht. Der Vater versucht sie mit erprobten Phrasen abzuwimmeln: dass doch alle Siebenbürger Sachsen – denn von dort stammen die Großeltern – bei der SS waren, aus „Naivität“. Und dass sie doch durch die spätere Verfolgung und Vertreibung genug gelitten hätten. Sita findet derweil Hinweise, dass der Großvater als Wächter in Auschwitz war.
Dann allerdings nimmt das Drehbuch eine erstaunliche Abkürzung und lässt einen entfernten Onkel (Winfried Glatzeder) auftauchen, der bereits vor Jahrzehnten lange Interviews mit dem Großvater über seine Auschwitz-Erfahrungen geführt hat. Bevor er Sita die Bänder übergibt, merkt er an, dass es für jemand so Sensiblen wie den Großvater ja auch nicht einfach war in Auschwitz. Bestimmt nicht. In den – schlecht nachgestellten – Aufzeichnungen hört man den Großvater bedächtig davon reden, dass er in sich keine Schuldgefühle entdecken könne. Er tut sich richtig leid dafür. Wie überhaupt spätestens ab hier dem Film der Ton verrutscht. Als Sita gegen Ende nach Auschwitz fährt, wird sie dort von einer jungen Frau angesprochen, die denkt, Sita wäre wie sie selbst Enkelin von Insassen. Sita gesteht, dass ihr Opa zu den Wächtern gehörte. „Das tut mir leid“, sagt die andere voll Mitgefühl.
Doch vielleicht ist das kein Tonverrutschen, sondern schlicht die gängige Kehrtwende der Vergangenheitsbewältigung ins Narzisstische, bei der es nicht mehr um die Suche nach Gründen geht, sondern darum, dass sich die Nachgeborenen besser fühlen. So gesehen ergeben die vielen atmosphärischen Sequenzen des Films erst Sinn, in denen man Sita zu Indie-Pop-Klängen auf dem Motorroller durch Berlin fahren sieht. Es ist ein Bild wie aus der Frühstückswerbung – die Nase im Wind, den Fahrtwind um die Ohren. Ach wie lebendig.
■ „Die Lebenden“. Regie: Barbara Albert. Mit Anna Fischer, August Zirner u. a. A 2012, 112 Min.
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