: Film goes Theater
TRANSFORMATION Moks und Schauspielhaus zeigen Kinoadapationen auf der Bühne – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen
Von HENNING BLEYL
Mit Stoffen, die aus dem Kino stammen, hat das Bremer Theater bislang keine schlechten Erfahrungen gemacht: „Gegen die Wand“ etwa, die Oper zum Fatih-Akin-Film, ist richtig gut. Bei den derzeitigen Schauspielproduktionen, die auf der Vorlage von Filmen entstanden sind, wirkt das Bild allerdings durchwachsen.
Die aktuellste Premiere, „La Dolce Vita“ nach dem gleichnamigen Film von Federico Fellini, kreist um den Journalisten Marcello (Glenn Goltz), der ein Leben zwischen Boulevard und multiplen weiblichen Bezugspunkten führt. Doch den Besuch dieser Produktion kann man sich aus dem selben Grund sparen, der einen heute hindert, beispielsweise Martin Walsers „Ehen in Philippsburg“ nochmal zu lesen: Das gesellschaftliche Soziogramm, auf dem es basiert, ist seither zigfach weitererzählt worden. Und Regisseurin Mirja Biel fügt nichts Neues hinzu.
Was interessiert uns heute – für sich genommen – das glamouröse Treiben im Rom der 50er Jahre? Was die Selbstfindungsnöte eines jungen Mannes zwischen Boulevard und literarischen Ambitionen? Natürlich ist die Yellow Press immer noch eine Geißel der Menschheit. Natürlich müssen sich die Menschen mehr denn je mit der zunehmenden Medialisierung des Lebens auseinandersetzen. Nichtsdestoweniger wirken Fellinis Anklagen und Analysen, von Biel getreu für das Theater transkribiert, für heutige Verhältnisse museal. Als Fellini sie formulierte, waren die thematisierten Verhältnisse freilich noch neu.
Wo Fellini also in vielfältiger Art innovativ war – auch bei der Erfindung des Begriffs „Paparazzo“ – ist Biel allenfalls epigonal. Und mutet ihrem tapfer spielenden Ensemble allerlei Aufsagerei zu. Die einzige dankbare Rolle hat Christoph Rinke als „Recording Angel“. In gut imitierter Andy Warhol-Pose, in der allerdings auch ein ganzes Stück Klaus Lagerfeld steckt, fungiert er als Kommentarfigur, die in ihrer konsequenten Oberflächlichkeit als eine Art Chef-Ideologe der Schickeria-Verhältnisse taugt. Rinke spielt den naiv-distinguierten Lebenshaltungs-Guru mit androgyner Sexiness, mit Lust an posenhaft erstarrter Ekstase – und Spaß an der Sonderrolle. Selten allerdings hat man das Gesamtensemble, auch das ist durchaus bezeichnend, bei der Entgegennahme des Applauses so unbeteiligt gesehen.
Gut ist immerhin Monika Goras Bühne. Ein in die Horizontale verlegtes Hamsterrad aus grünlichen Glassteinen, in denen Marcello allerdings allzu sinnfällig seine Runden rennen muss. Dem längerfristigen Gedächtnis liefert diese Inszenierung allenfalls einige Kalauer. Etwa: „Wer schläft, sündigt nicht. Wer vorher sündigt, schläft besser.“ Oder: „Auch die schönste Frau ist an den Füßen zu Ende.“ Zum Glück gilt das ebenso für Theaterstücke – ob schön oder überflüssig.
Das Moks hingegen verdeutlicht mit „Clyde und Bonnie“, wie man aus der theatralen Adaption eines Kinoklassikers einen Mehrwert gewinnt. Zunächst baut Regisseur Michael Talke Clyde und Bonnie, hervorragend gespielt von Christopher Ammann und Anna-Lena Doll, als eigenständige Bühnenfiguren auf, bevor sie sich sukzessive mit ihren filmischen Vorbildern verzahnen. Auch beim Ausloten der formalen Möglichkeiten dieser medialen Synthese geht das Moks wesentlich weiter als die Inszenierung am „großen“ Ensemble: Clyde und Bonnie wachsen sequentiell in den Hollywoodklassiker hinein, geschickte Überblendungen erlauben Doppelungen ebenso, wie das aus großformatigen Papierbahnen bestehende Bühnenbild abrupte Unterbrechungen der Medialisierung ermöglicht. Vor allem jedoch thematisiert das Moks, im Gegensatz zum theatralen Fellini-Relaunch, die heutige Distanz zum filmischen Vorbild.
Ein Fehler allerdings verbindet beide Produktionen denn doch: Sie finden keinen Schluss. Biel reiht bei „Dolce Vita“ gleich drei finalartige Sequenzen hintereinander, ohne einen überzeugenden Abschluss zu setzen, „Clyde und Bonnie“ wiederum ist schlicht zu lang. Letzteres liegt wohl an der Menge der verhandelten Themen: Neben dem Komplex aus Liebe und Sich-aufeinander-einlassen-können (oder eben nicht) geht es ja um Ökonomie. Beziehungsweise um deren offen räuberische Variante in Zeiten der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession. Nachdem also der komplexe Paarfindungsprozess einigermaßen über die Bühne ist, benötigt Talke noch ziemlich viel Zeit, um in Bezug auf die ökonomisch-moralische Message die Kurve zu kriegen. Schließlich werden Clyde und Bonnie, ebenso wie ihre Filmvorbilder, Bankräuber.
Im Film wird daraus Mythos, Pop und eine Art Lifestyle der Leidenschaftlichkeit. Also ein Haltungskonglomerat, dessen Werte mit dem Jugendtheater nicht von vornherein kompatibel ist. Talke dreht den Spieß um und thematisiert ebenso die Suche nach Sesshaftigkeit und Sich-zu-Hause-fühlen-können.
Mit „urbanscreen“ hat sich das Moks die richtigen Partner für die Umsetzung des vielfältigen Videoparts gesucht. Die Bremer Gruppe, ursprünglich bekannt durch die Fassaden-Animationen während des Viertelfests, ist mittlerweile auch im Hamburg oder bei der Eröffnung des Filmfestival Thessaloniki erfolgreich. Michael Talke wiederum gehört zu jener innovativen, sich – sehr allmählich – ausbreitenden Spezies von Regisseuren, die ebenso selbstverständlich in Kinder- und Jugendtheatern wie in „großen“ Häusern inszenieren. Das ästhetisch avancierte Ergebnis dieses generationellen Crossover spricht für sich.
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