Friedlicher Wettstreit von Weiß und Grün

Bei den palästinensischen Parlamentswahlen kandidieren in der Stadt Hebron zwei Brüder für unterschiedliche Parteien: für die Regierungspartei Fatah und die islamistische Hamas. Hier verlief der Wahlkampf weniger schmutzig als im Gaza-Streifen

AUS HEBRON UND DURA SUSANNE KNAUL

An dem Gartentor zum Elternhaus der Geschwister Radschub hängen die Wahlplakate von gleich zwei Söhnen. Dschibril, der Ältere der beiden, kandidiert im Auftrag der palästinensischen Regierungspartei Fatah für das Parlament. Naif, von Beruf Scheich, gehört der islamistischen Hamas an. Links von dem bescheidenen Bungalow der vor vielen Jahren verstorbenen Eltern steht die Villa Naifs, gegenüber und rechts davon zwei weitere Wohnhäuser der Kinder.

Dschibril sitzt mit seinen Beratern bei einer kurzen Verschnaufpause im Haus seines frommen Bruders. Den ganzen Vormittag verbrachte er damit, von einer zum Wahllokal umfunktionierten Schule zur nächsten zu fahren. Überall in seinem Dorf Dura, wenige Kilometer südwestlich von Hebron, hängt das Bild des so populären wie gefürchteten ehemaligen Sicherheitschefs im Westjordanland und langjährigen Weggefährten des verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafats. In seiner Funktion als Nationaler Sicherheitsberater hatte Dschibril Radschub schon zwei Tage zuvor seine Stimme abgegeben, zusammen mit den anderen Angehörigen des Sicherheitsapparats. Die Polizisten sollten am Wahltag bereitstehen, falls es zu Unruhen kommt.

„Die Realisten und Pragmatiker werden das Rennen machen“, gibt sich Dschibril Radschub wenige Stunden vor Ende des Urnengangs siegessicher. „Die Hamas wird niemals eine Mehrheit haben, niemals.“ Er wünscht sich unter Führung der Fatah eine nationale Einheitsregierung. Alle Fraktionen sollten Minister stellen, „vorausgesetzt, sie halten sich an unsere politische Plattform“. Dazu gehöre internationale Legitimität, die Anerkennung des Staates Israel und die Errichtung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967.

Sein Bruder Naif, der den Tag vor allem im örtlichen Hauptquartier der Hamas verbringt, tut sich indes schwer mit der Existenz des Judenstaates. Unter keinen Umständen würde der vollbärtige Scheich derzeit einer Entwaffnung seiner Bewegung zustimmen, die notwendig wäre, um die USA und Europa dazu zu bewegen, die Hamas von der Liste der Terrororganisationen zu streichen. Überhaupt ist er sich nicht sicher, ob ein Einzug in die Regierung für die Hamas sinnvoll wäre. Vieles werde davon abhängen, erklärt er, wie stark die Hamas aus den Wahlen hervorgehe und wie Israel reagiere.

Die Hamas, sagt Scheich Radschub, werde zudem „die internationale Haltung“ berücksichtigen. „Das palästinensische Interesse hat Priorität“, sagt er. Die Hamas werde ins Kabinett einziehen, „wenn es unserem Volk nützt, sonst nicht“. Sein Bruder wiederum lehnt die Drohungen aus dem Weißen Haus ab, wonach die Finanzhilfen für die Palästinenser eingestellt würden, sollte die Hamas Ministerposten besetzen. „Wir lassen uns von niemandem die Agenda diktieren“, sagt er unwirsch, während ein Helfer heißen Tee verteilt.

In der Familie herrscht demonstrative Harmonie. „Wir wählen die Fatah“, sagt die älteste Schwester der beiden Kandidaten. Eine Cousine und eine Nichte der Brüder stimmen ihr zu. Die große Schwester saß aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Fatah bereits in einem israelischen Gefängnis. In der Familie verteile sich die Solidarität zu beiden Brüdern ungefähr gleichmäßig, „fifty-fifty“, erklärt sie. Im Haus von Naif lagert das Propagandamaterial von beiden.

Dschibril hofft, dass beide ins Parlament einziehen, dort als Brüder „ein positives Signal“ setzen und dabei helfen, „Kluften zu überbrücken“. Während sich die zwei stärksten Bewegungen im Gaza-Streifen einen schmutzigen Wahlkampf mit gegenseitigen Anfeindungen und Bedrohungen geleistet haben, verlief im Westjordanland der Wettstreit um die Wählerstimmen weniger feindlich. „Sobald die Wahlen vorbei sind“, glaubt der Sicherheitsberater, „wird sich der Konflikt im Gaza-Streifen von selbst beruhigen“.

Zwei vielleicht siebenjährige Knirpse laufen Seite an Seite zum Wahlbüro Duras. Einer der beiden trägt die grüne Mütze der Hamas, der andere die weiße der Fatah. Auch vor dem Wahlbüro wechseln sich die Farben Weiß und Grün der Mützen, die die Männer auf dem Kopf tragen, ab. „Ich wähle weder die Fatah noch die Hamas“, lacht Ibrahim Anati, der Anfang 60 ist. „Aber ich bin froh, dass beides möglich ist.“ Die ersten Parlamentswahlen 1996 waren von den Islamisten boykottiert worden. In keinem arabischen Land bestehe Demokratie, sagt Anati, aber in Palästina werde es eines Tages dazu kommen: „Die Wahlen heute sind der erste Schritt dazu.“