RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN
: Die Schwarzbunten

Mit der Vielfalt in den eigenen Reihen tun sich Politiker aus dem Regierungslager manchmal noch arg schwer

Es ist nicht die Art des Bundestagspräsidenten, jedem Fettnäpfchen sorgsam auszuweichen. Diesmal staunte ich trotzdem, wie zielgerichtet Norbert Lammert darauf zusteuerte. Es war im Januar, der erste Tag der Haushaltsberatungen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hielt seine Etatrede, doch zunächst fand eine Abstimmung statt. Die Abgeordneten drängten sich an die Wahlurnen. Bevor Schäuble mit seinem Rollstuhl zum Rednerpult fuhr, sagte Lammert: „Dieser Tagesordnungspunkt findet überwiegend im Sitzen statt.“

Ich wunderte mich vor allem, weil ein ähnlicher Fauxpas erst kurz zurücklag. Bei der Kabinettsklausur im November hatten Schäuble und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf einer Pressekonferenz den Eindruck zu erwecken versucht, sie seien in Steuerfragen einer Meinung. Dieser unnatürlichen Verkrampfung hatte ich es zugeschrieben, dass Brüderle den Termin mit den Worten eröffnete: „Ich freue mich sehr, dass Herr Schäuble und ich ganz dicht beieinanderstehen, auch wenn ich jetzt stehen muss und er sitzen kann.“

Mit Vergnügen beobachte ich schon seit Längerem, wie schwer sich das schwarz-gelbe Lager mit der Buntheit der eigenen Regierung tut. Es ist ja nicht nur der Rollstuhlfahrer Schäuble, der für Irritationen sorgt. Auch die Frau an der Spitze verunsichert das Milieu. Immerhin werden die Unionspolitiker weniger, die in Hintergrundgesprächen ihr Verhältnis zu Angela Merkel mit dem Hinweis illustrieren, sie müssten ja auch zu Hause eine starke Ehefrau ertragen.

Nur noch bei wenigen Gelegenheiten bricht sich das Ressentiment öffentlich Bahn. Zu ihnen zählt der Politische Aschermittwoch, den Merkels CDU-Heimatverband alljährlich im vorpommerschen Demmin abhält. Voriges Jahr hielt der damalige Landtagsabgeordnete Werner Kuhn eine Büttenrede, in der er sich mit zotigen Bemerkungen nicht zurückhielt. „In dieser Dame steckt mehr, als ihre Kritiker vermuten“, witzelte er über Merkel. „Und das sage ich nicht nur, nachdem ich ihre Abendgarderobe bei der Eröffnung der Osloer Oper bewundert habe.“ Über den FDP-Chef spottete er schal: „Guido wollte den Sieg in Bayern ganz zünftig gleich im Dirndl feiern.“

Immerhin ist Besserung in Sicht. Lammert jedenfalls ließ im Protokoll nur den Satz stehen: „Für den nächsten Tagesordnungspunkt darf ich diejenigen, die daran teilnehmen wollen, bitten, Platz zu nehmen.“

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Archiv