Weiterbildung beliebter denn je

JUBILÄUM Vor 20 Jahren wurde der Verein „Weiterbildung Hamburg“ gegründet, der ein Prüfsiegel für Bildungsanbieter herausgibt. Laut einer Trendstudie nimmt jeder Zweite an Weiterbildungen teil

„Selbstzertifizierung ist keine Gewährleistung von Qualität. Wir fordern ein Weiterbildungsschutzgesetz“

Roland Kohsiek, Ver.di Hamburg

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Würde dieser Züchtigungsspruch für lernunwillige Kinder beherzigt werden, gäbe es keine Fortbildung und bräuchte es keine Weiterbildungsangebote.

Da dieser Spruch aber schon lange als Quatsch gilt und lebenslanges Lernen von allen Seiten propagiert wird, konnte der Verein „Weiterbildung Hamburg“ in diesem Frühjahr seinen 20. Geburtstag feiern.

„Wir bieten den Verbrauchern eine Orientierung und schützen sie vor schwarzen Schafen“, sagt die Leiterin der Geschäftsstelle Undine Gustavus. 1993 schlossen sich Hamburger Bildungsanbieter zusammen, um sich im damals ausufernden Weiterbildungsmarkt von unseriösen Anbietern abzugrenzen – aber auch, um einem drohenden Weiterbildungsschutzgesetz zu entgehen.

Die Mitglieder des Vereins verpflichten sich zu verbindlichen Standards, beispielsweise für die Qualifikation der Lehrenden, und erhalten dafür das Siegel „Geprüfte Weiterbildungseinrichtung“. Heute sind fast 200 Bildungsträger Mitglied.

„Die Zertifizierung selbst kostet kein Geld“, erklärt Gustavus, „aber die Mitgliedschaft im Verein.“ Die Beiträge seien je nach Umsatz der Mitgliedseinrichtung gestaffelt und würden von 365 Euro bis zu 2.000 Euro im Jahr reichen. Alle drei Jahre würden feste formale Qualitätskriterien von Gutachterausschüssen überprüft, in denen Personen aus den Mitgliedseinrichtungen ehrenamtlich tätig sind.

Dass sich die Mitglieder selbst kontrollieren, gefällt nicht jedem. „Selbstzertifizierung ist keine Gewährleistung von Qualität“, sagt Roland Kohsiek, bei Ver.di Hamburg zuständig für die Fort- und Weiterbildung. Er räumt zwar ein, dass das Prüfsiegel gut eingeführt sei, und die Mitglieder von „Weiterbildung Hamburg“ „solide Träger“ seien, dennoch glaubt er, dass eine Qualitätsprüfung von der Arbeitsagentur effektiver wäre. Kohsiek vermisst in den Qualitätsstandards des Prüfsiegels klare Aussagen zur Beschäftigungsstruktur und der Entlohnung. „Qualität hat auch etwas damit zu tun, wie viele feste Beschäftigte und wie viele Honorarkräfte eine Einrichtung beschäftigt, und ob sie diese tariflich entlohnt“, sagt der 60-Jährige. Er fordert weiter ein Weiterbildungsschutzgesetz.

Nach den Kürzungen der öffentlichen geförderten Weiterbildung durch die Hartz Gesetze der Schröder-Regierung ist die Branche derzeit wieder im Aufwind. Passend zum Geburtstag von „Weiterbildung Hamburg“ gab das Bundesministerium für Bildung im April den aktuellen „Trendbericht zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland“ heraus. Demnach nahmen von 2011 bis 2012 fast die Hälfte der 18- bis 64-Jährigen an Weiterbildungsmaßnahmen teil – mit 49 Prozent so viele wie noch nie.

Peter Faulstich, einer der Geburtstagsfestredner und seit April pensionierter Professor für Weiterbildung von der Universität Hamburg, erklärt dies mit dem Konjunkturhoch der letzten Jahre: „Die Unternehmen investieren wieder mehr.“

Aber er legte in seiner Rede auch den Finger in die Wunde der Weiterbilder. Es sei ein „fortdauernder Skandal“, das Weiterbildung die soziale Selektion nicht verhindere, sondern noch verstärke, so Faulstich. „Wer hat, dem wird gegeben“, fasste er die Ergebnisse des Trendberichts zusammen.

So würden sich 51 Prozent der Akademiker weiterbilden, aber nur 18 Prozent der Menschen ohne Berufsabschluss. Und auch die Betriebe würden zwar 77 Prozent ihrer Führungskräfte zur Weiterbildung schicken, aber nur 37 Prozent ihrer un- und angelernten Arbeitnehmer – nicht einmal halb so viele.

Undine Gustavus sieht da auch ihren Verein in der Pflicht: „Es ist Satzungsauftrag, alle interessierten Menschen auch zu erreichen.“ Für die Mitglieder stellt sich die Aufgabe, „am Aufbau einer Weiterbildungsstruktur in Hamburg mitzuwirken, die den unterschiedlichen sozialen und kulturellen Lebensverhältnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gerecht werden kann“. So steht es in der Präambel für die Qualitätsstandards.

Auch in den neuen Formen des elektronischen Selbstlernens steckten Herausforderungen, sagt Gustavus. Menschen, die diese Techniken nicht beherrschten, könnten schon aufgrund dessen ausgegrenzt werden. „Wir müssen die Leute auch hier befähigen, teilhaben zu können“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin. Sie wolle ihre Mitgliedsunternehmen künftig für diese Problematik sensibilisieren.

So könnten Kurse angeboten werden, die dieses selbständige Lernen vermitteln. Außerdem sollte in allen Angeboten angegeben sein, wie hoch der Anteil an Selbstlernen und wie viel Dozententätigkeit vorhanden ist.

Einen Ausblick auf die Welt in 20 Jahren wagte auf der Geburtstagsfeier der Vorstandsvorsitzende Jens Gärtner. „In 20 Jahren ist Wissen ein ,Wissen to go‘, ein navigiertes Wissen und Bildungskontrolle in einer open source der Web 3.0/4.0 Technologie“. Der Einzelne würde über das Netz „entsprechend seinem dort registrierten Wissen gefördert“.

Diese neue Welt will bewältigt und gestaltet werden. Gärtners Aufruf an die Mitglieder: „Visionen entwickeln.“NIELS HOLSTEN